TikTok-Rezept sorgt für Gurken-Engpässe auf Island

Literarische Gurken-Geschichten und andere knackige Lektüren

Stand
Autor/in
Nina Wolf

Manchmal kommt es in unserer Gegenwart ja zu Phänomenen, die uns mit einem „Hä?“ zurücklassen. Das jüngste Beispiel: Ein TikToker sorgt für Gurkenknappheit auf Island.

Ein TikToker macht Gurkensalat

Hier einmal von ganz vorne: Der kanadische Food-Blogger Logan Moffitt teilt auf TikTok Gurkenrezepte. Vor einem Millionenpublikum aus aller Welt bereitet der 23-Jährige Gurkensalate zu.

Manchmal muss man eine ganze Gurke essen

Mit diesen Worten beginnt Logan Moffitt seine Videos. Auf Tiktok ist er bekannt als „Cucumber Guy“, der Gurken-Typ. Er zeigt Gurkenrezepte und erreicht damit ein Millionenpublikum. Ein besonders beliebtes Rezept: gehobelte Gurke, Chili-Öl, etwas Knoblauch, Reisessig und Sesamöl. In einem Behälter kräftig durchgeschüttelt, fertig, lecker!

Auf Island sind die Gurken knapp. #tagesschau #nachrichten #cucumberguy #cucumber #island

Obwohl in der vergangenen Woche unzählige Schlagzeilen aufgrund der Gurkenknappheit durch die Medien gurkten, ganz klar ist es nicht, ob es eine Korrelation zwischen der isländische Gemüsekrise, der gestiegenen Gurkennachfrage und Moffits TikTok-Rezept gibt. Laut Tagesschau bestätigt der Verband der isländischen Gemüsebauern, dass etwa in dieser Jahreszeit sowieso nicht viele Gurken geerntet würden. Auch das sei ein Grund für die grüne Durststrecke.

Johanna Sebauers scheißdrecksgschissenen Hurnsgurkerlwassers

Gurken- und Literaturfans erinnern sich bei diesem Gurkenwahnsinn natürlich an den letzten Lesetag des diesjährigen Bachmannwettbewerbs. Da las die österreichische Autorin Johanna Sebauer ihren Text „Das Gurkerl“, wo es die Essiggurke ist, die einen Medienwirbel auslöst.

In Gang bringt die Misere der Wut-Artikel eines Lokalzeitungsredakteurs, dem das „scheißdrecksgschissenen Hurnsgurkerlwassers“ beim Gurkenglasöffnen ins linke Auge schießt, was wiederum zur Forderung von Gurkenglas-Sicherheitsbestimmungen führt. „Nieder mit der Gurkenlobby“ heißt es bald, es kommt zum Gurkerl-Shitstorm auf Social Media, das Gurkerl wird zum Trigger-Wort.

Russland, Juli 2024: Gurkenfestival in Suzdal
Ganz oder gar nicht: Eine Gurkenfreundin im Gurkendress

Es war der witzigste Text des Wettbewerbs und die in Hamburg lebende Österreicherin Sebauer ging mit dem 3sat-Preis, dem Publikumspreis der BKS Bank und dem mit 6000 Euro dotierten Stadtschreiberstipendium der Stadt Klagenfurt nach Hause. Den Ingeborg-Bachmannpreis der diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur gewann der Autor Tijan Sila.

Humor bewies Johanna Sebauer schon in ihrem 2023 erschienenen Debütroman „Nincshof“, wo sie einen Ausflug in die Provinzidylle der hintersten burgenländischen Provinz unternimmt.

SWR2 lesenswert Kritik Johanna Sebauer – Nincshof

In Nincshof liegen die Nerven blank. Die Einheimischen fühlen sich überrannt, von den modernen Zeiten, dem Tourismus, der Bevormundung aus Wien und Brüssel. Die Zugezogenen dagegen, können in der Provinzidylle so schnell nicht heimisch werden. Wie es dennoch zur Versöhnung kommt, davon erzählt Johanna Sebauer in ihrem Debütroman „Nincshof".

DuMont Verlag, 368 Seiten, 23 Euro
ISBN 978-3-8321-6820-9

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Majestätische Gurken: Christine Nöstlingers Gurkenkönig

Selbstverständlich hat das knackige Gemüse in der Literaturwelt schon so manches Buch gewürzt. Die Gurke kann also auch überraschend facettenreich und symbolträchtig daher kommen. Obwohl das grüne Gold oft in kulinarischen Kontexten auftaucht, gibt es auch Texte, in denen sie eine größere Rolle spielt: Sei es als Symbol, als Requisite oder als Element der Handlung.

Im bekannten Kinderbuch der österreichischen Autorin Christine Nöstlinger wird die Gurke sogar zur Hauptfigur. Der Gurkenkönig, ein mürrisches Gemüsewesen, bittet bei der Familie Hogelmann um politisches Asyl und sorgt für allerlei Verwicklungen. Feudalismus, Diktatur und Demokratie herrschen bald im Hause Hogelmann. Die Gurke wird hier zum Symbol für Autorität und Tyrannei.

„Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ gab es 1973 den Deutschen Jugendliteraturpreis. In der DDR durfte Nöstlingers Kinderroman, deren Werk sich besonders durch ihren skurillen Humor auszeichnen, allerdings nicht erscheinen.

Polnische Essiggurken à la Bianca Nawrath

In der osteuropäischen Küche hat die eingelegte Gurke einen festen Stellenwert. Kein Wunder also, dass sich die Saure Gurke auch in so manche Texte einschreibt, die sich mit osteuropäischen Identitäten auseinandersetzt. Ein Hingucker für Gurkenfreunde ist Bianca Nawraths 2021 im ECCO Verlag erschienener Debütroman „Iss das jetzt, wenn du mich liebst".

Die Schauspielerin, freie Journalistin und Autorin Bianca Nawrath hat selbst polnische Wurzeln. Der Roman ist eine Coming-of-Age-Geschichte, in der die Berlinerin Kinga ihre polnische Familie in Aufruhr versetzt, als sie die Hochzeit mit Freund Mahmut ankündigt. Ein Clash der Kulturen im Nachwende-Berlin. Und Gurken spielen dabei auch so ihre Rolle.

Welches Verhältnis die Autorin zum Gemüse hat? „Eingelegte Gurken schmecken für mich nach Kindheit. Wenn es in Mamas Küche nach frischem Dill und Knoblauch riecht, läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen. Leider heißt es dann erst mal noch geduldig sein, denn die eingelegten Gurken muss man etwa drei Tage lang ziehen lassen. Es kann schon mal vorkommen, dass ein Glas Gurken an einem Tag leer wird. Vor allem wenn man sie gegen gierige Geschwister verteidigen muss.“

Exotische Weltraumgurken von Joshua Groß

Horngurke
Außerirdisch aussehender Nachwuchs in der Gurkenfamilie: die Horngurke, auch Kiwano genannt.

Gäb es Familienchaos in der Gurkenfamilie, wäre es wohl diese Gurkengattung, die für Wirbel am Abendbrottisch sorgen würde: die igelartige Kiwano, die Horngurke, ist eine entfernte Gurkenverwandte, die vor allem in Neuseeland und Israel beheimatet ist.

Und weil sie so abgespacet aussieht, versetzt Joshua Groß das stachelige Gewächs in ein Weltraumsetting. Im illustrierten Büchlein „Kiwano Tiger“ ist die Frucht der Lieblingssnack von Weltraum-Tigern, wo so manche der Großkatzen eine Ähnlichkeit mit Popsternchen Harry Styles aufweist.

In „Kiwano Tiger“ entlarvt sich Joshua Groß als Science-Fiction-Liebhaber und -kenner. „Kiwano Tiger“ ist humorvoll, herrlich absurd und entfaltet Seite für Seite eine Mehrdeutigkeit, die zum Grübeln einlädt.

Erste Hilfe für Gurkenfans

Die Kiwano kann in Island höchstwahrscheinlich nicht bei der Gurkenknappheit als Ersatz herhalten. Gut, dass wiedermal die Literatur lebenspraktisch helfen kann. Wie wir sehen, herrscht zumindest in Büchern kein Gurkenchaos. Und wer eh keine Gurken mag, der ist mit Lesen sowieso besser bedient, als mit Gurken-TikToks.

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Nina Wolf