SWR2 lesenswert Kritik

Johanna Sebauer – Nincshof

Stand
Autor/in
Eberhard Falcke

In Nincshof liegen die Nerven blank. Die Einheimischen fühlen sich überrannt, von den modernen Zeiten, dem Tourismus, der Bevormundung aus Wien und Brüssel. Die Zugezogenen dagegen, können in der Provinzidylle so schnell nicht heimisch werden. Wie es dennoch zur Versöhnung kommt, davon erzählt Johanna Sebauer in ihrem Debütroman „Nincshof".

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Nincshof ist ein sonderbares Dorf und überhaupt ein Grenzfall in mancherlei Hinsicht. Nicht nur, dass es in einem österreichischen Winkel liegt, wo das Burgenland und Ungarn hinter dem Neusiedler See aufeinandertreffen. Es ereignen sich dort auch allerlei grenzwertige Dinge, bei denen einige Bewohner über ihre ganz persönlichen Grenzen mehr erfahren, als sie gedacht hätten. Die bald achtzigjährige Erna Rohdiebl zum Beispiel, die sich in heißen Juninächten im Swimmingpool ihrer abwesenden Nachbarn erfrischt, muss, als sie ertappt wird, ihre Kühnheit mit einer bitteren Blamage büßen. Oder der Bürgermeister von Nincshof, dem Politik, Bürokratie und obrigkeitliche Bevormundung so auf die Nerven gehen, dass er sein Dorf vor den Zentralgewalten in Wien und Brüssel am liebsten verstecken würde.

Legenden, Dialekt, Humor und Komik

"Nincshof" heißt der erste Roman der 25-jährigen Österreicherin Johanna Sebauer. Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Region ihrer Heimat, zugleich ist es aber auch eine Auseinandersetzung mit den aktuelleren Entwicklungen und Konflikten, durch die sich das Leben dort schon seit langem unaufhaltsam verändert.

Johanna Sebauer hat für ihren Roman eine Sprache gefunden, die sofort überzeugt und gefangen nimmt. Darin mischen sich Legendentöne, Dialektanklänge, Humor und volksstückhafte Komik zu einem Erzählstil, der Realismus, phantastische Elemente und Gegenwartsthemen mit Leichtigkeit verbindet. Denn in dieser Hinsicht hat die Handlung wahrlich einiges zu bieten.

Dieses Dorf soll gründlich vergessen werden!

An erster Stelle steht dabei das große Projekt des Bürgermeisters und seiner Mitverschwörer. Sie wollen ihre Heimat von den Zumutungen der modernen Welt befreien, indem sie dafür sorgen, dass ihr Dorf vergessen wird. In Anlehnung an einstige Avantgardebewegungen bezeichnen sie sich stolz als "Oblivisten", als Aktivisten des Vergessens. Tatsächlich ergreifen sie Maßnahmen, um Nincshof aus dem Gedächtnis der Gegenwart zu löschen und zu dem zu machen, was in dem erfundenen halb ungarischen Ortsnamen, der sich als „Keinhof“ übersetzen lässt, schon ausgesprochen ist. Plötzlich verschwindet die Website des Dorfs aus dem Internet, Bücher und Dokumente in Bibliotheken sind nicht mehr auffindbar, Ortsfremde suchen vergeblich nach Wegweisern, die über Nacht abmontiert wurden. Dem ansässigen Winzer, der seine Weine vermarkten will, gefällt das natürlich gar nicht. Und auch die neu zugezogene Dokumentarfilmerin, die hofft durch das Landleben eine Lebenskrise überwinden zu können, steht den Zielen der Oblivisten im Wege. Ganz zu schweigen von ihrem Mann, der mit der Zucht fabeltierartiger Ziegen Aufmerksamkeit über die Ortsgrenzen hinaus erweckt.

Burgenländisches Welttheater

Es geht turbulent zu in diesem Roman, nicht nur auf der Handlungsebene sondern auch thematisch. An manchem Erzählfaden hat die Autorin etwas zu lang herumgezwirbelt, manches Motiv hat sie allzu gründlich durchgespielt. Aber insgesamt wird dadurch der Spaß an der Lektüre nicht wesentlich beeinträchtigt.

Johanna Sebauer misst das Feld aus zwischen Heimatroman und Heimatlosigkeitsroman, zwischen verklärter Vergangenheit und komplizierter Gegenwart, zwischen Selbstfindungskonflikten bei den einen und rebellischer Selbstbehauptung bei den anderen. Alles in allem ergibt das ein originelles kleines Welttheater mit historischer Tiefe und einer Vielfalt menschlicher Typen. Kurz gesagt: Dieser Ausflug in die hinterste burgenländische Provinz lohnt sich unbedingt.

Stand
Autor/in
Eberhard Falcke