Immer wieder wird die politische Gegenwart in Deutschland mit den Weimarer Jahren verglichen. Keine leichte Sache, findet die Schriftstellerin und Publizistin Mely Kiyak. Denn bei einigen Gemeinsamkeiten gebe es auch enorme Unterschiede. Anders als damals lebten wir nicht in einer Gesellschaft von Kriegsversehrten. Vergleichbar sei aber das Ausmaß öffentlicher Anfeindungen.
Ein Abend mit Mely Kiyak und dem Kabarettisten Max Uthoff
Über ihre Beobachtungen spricht Mely Kiyak mit SWR Kultur kurz vor ihrem Auftritt beim Literaturfest Mannheim. Mit dem Kabarettisten Max Uthoff hat sie dort einen Abend zu Texten der Weimarer Republik bestritten, unter dem Titel „Ihr tötet nicht den Geist“. Es sei ein Versuch, „diese Zeit lebendig zu machen“, sagt Mely Kiyak, „weil ja viel über das Heute im Vergleich zum Damals gesprochen wird.“
Das Motto der Veranstaltung aus einem Lied von John Henry Mackay habe die National Library in den USA 1943 zum zehnjährigen Gedenken an die Bücherverbrennungen aufgegriffen. Als Banner habe sie über einer Veranstaltung gehangen, die damals auch Thomas Mann besuchte. Mely Kiyak hat die Rundfunkreden des Schriftstellers als Buch herausgegeben.
Mely Kiyak: Eine strikte „Weigerung, Zusammenhänge verstehen zu wollen“
Die Bundesrepublik – ein neues Weimar? Meinungsfreiheit sei heute nicht das Problem, sagt Mely Kiyak in SWR Kultur. Jeder könne alles sagen. „Aber ich sehe die Ideen gefährdet, das Denken gefährdet.“ Das habe nicht eigentlich mit der Gegenwartsliteratur zu tun, „sondern mit dieser sehr strikten Weigerung, Zusammenhänge verstehen zu wollen, Ideen entwickeln zu wollen für die Zukunft.“
Differenziert über die Probleme der Gegenwart schreiben und diskutieren zu können, stehe immer unter der „enormen Kraftanstrengung, sich ständig gegen Vorwürfe, Anwürfe, Anschuldigungen wehren zu müssen, und das war in der Weimarer Republik auch so.“
Die Goldenen Zwanziger waren nicht golden
Die Schriftstellerin Irmgard Keun zum Beispiel habe fliehen müssen, nachdem die Nazis ihren Roman „Das kunstseidene Mädchen“ als „Asphaltliteratur“ und „antideutsch“ verunglimpft hätten. „Wir nennen es heute immer die Goldenen Zwanziger“, so Mely Kiyak. „Aber ich glaube, ich finde daran gar nichts so golden.“
Insbesondere die bedeutenden Schriftstellerinnen würden erst jetzt wirklich entdeckt. Mascha Kaléko sei jahrzehntelang nicht einmal im Lyrik-Lexikon oder Brockhaus erwähnt worden. Irmgard Keun, Marieluise Fleißer und Vicki Baum seien uns „seit eben erst“ bekannt. „Aber sie waren es jahrzehntelang überhaupt nicht.“