Der Deutschen liebste Kalorienbombe

Der Nudelsalat: Delikatesse der Wirtschaftswunderzeit

Stand
Autor/in
Dominic Konrad

Ob beim Grillen oder am Salatbuffet: Der Nudelsalat ist immer dabei. Den Weg in die Herzen der Deutschen findet er nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren und bleibt, weil sich die deutsche Gesellschaft in den 1950er-Jahren grundlegend ändert.

Nudelsalat
So ansehnlich kommt er nicht immer daher: Der Nudelsalat überzeugt eher durch Geschmack als durch Optik und Textur.

Die Königin des Grillbuffets

Sommerzeit ist Grillzeit. Während Nackensteaks, Bratwürste und Grillfackeln über der glühenden Kohle vor sich hin brutzeln, steht der eigentliche Star des Essens bereits auf der gedeckten Tafel. Gefühlte Wahrheit: Kein deutsches Grillbuffet ist komplett ohne den Nudelsalat.

Zarte Nudeln – mal Röhre, mal Spirale – in perfekter Harmonie mit Erbsen, Karotten und Essiggurken, dazu hartgekochte Eier und (je nach Geschmack der Gäste) Käse, Fleischwurst oder Paprika. Das Ganze wird liebevoll umfangen und geschmacklich überlagert von einer fettig-sämigen Mayonnaise-Soße.

Nudelsalat
Essiggurken, Dosenerbsen, Mayonnaise: Für einen Nudelsalat braucht es keine erlesenen Zutaten. Er schmeckt auch ganz bodenständig einfach gut.

Während Fernsehköche immer wieder das Hohelied spannender Konsistenzen anstimmen, kommt der Nudelsalat mit einer einzigen aus: ‚weich‘. Die Nudeln dürfen nicht ‚al dente‘ sein, sonst wären sie ja Pasta. Und das Gemüse kommt selbstverständlich aus der Konserve. So ist er nun mal, der Nudelsalat: bodenständig, einfach und bescheiden.

Der Nudelsalat ist uns Deutschen heilig, auch wenn unsere europäischen Nachbarn nur den Kopf schütteln können ob dieser hochkalorischen Köstlichkeit. Gerade das Leid unserer italienischen Freunde, deren Verhältnis zu Teigwaren noch um einiges emotionaler ist, könnte ob unserer kulnarischen Vorliebe vermutlich ganze Opern füllen.

Frauen am Fließband einer Süßwarenfabrik (1950er-Jahre)
Genug Arbeit für alle: Das Wirtschaftswunder sorgt für Vollbeschäftigung. Für viele Frauen heißt das Broterwerb neben Heim und Herd.

Ein Stück kulinarische Emanzipation

Der Nudelsalat ist ein Kind des Wirtschaftswunders. Nach den Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre sind die Regale in westdeutschen Lebensmittelläden wieder prall gefüllt.

Deutschland ist im Wiederaufbau und wird Exportmeister: „Made in Germany“ steht hoch im Kurs. Jeder, der Arbeit sucht, findet eine Anstellung – und auch Frauen suchen vermehrt eine Aufgabe außerhalb des Haushalts.

Mittags wird also in der Kantine gegessen und abends bleibt die Küche weitestgehend kalt. Ein Nudelsalat ist da schnell zusammengestellt und dank der Konserven entfällt sogar der lästige Umweg zum Einkaufen.

Gaumenfreuden des Wirtschaftswunders: So aß man in den 1950er-Jahre

Essen der 1950er-Jahre: Toast Hawaii
Kulinarische Ikone der 1950er-Jahre: Clemens Wilmenrod ist der erste Fernsehkoch im jungen deutschen Fernsehen. Seine berühmteste Kreation, der Toast Hawaii, wird dank Dosenananas zum exotischen Gaumenschmeichler. Bild in Detailansicht öffnen
Essen der 1950er-Jahre: Fruchtcocktail
Südfrüchte sind wegen langer Transportwege und komplizierter Kühlketten in den 1950er-Jahren noch nicht wirklich in der deutschen Küche angekommen. Obstkonserven wie der zuckrig-süße Fruchtcocktail vermitteln immerhin eine Idee von fernen Ländern und hübschen so manchen Tortenboden auf. Bild in Detailansicht öffnen
Essen der 1950er-Jahre: Gefüllte Eier
Adrett auf dem Buffet: Gefüllte Eier, formschön mit der Spritztülle aufdressiert und mit Olivenscheiben, Seehasenrogen und Lachs-Imitat ausdekoriert, gehören in den 1950er-Jahren zu jeder guten Cocktail-Party. Bild in Detailansicht öffnen
Essen der 1950er-Jahre: falsche Fliegenpilze
Eine weitere, nicht minder verspielte Eier-Mayonnaise-Kombination, ist der falsche Fliegenpilz: Ein hartgekochtes Ei mit einer ausgehölten Tomatenhälfte und einigen Mayo-Klecksen als weiße Punkte. Vor dem Essen bitte den für die Statik notwendigen Zahnstocher entfernen. Bild in Detailansicht öffnen
Essen der 1950er-Jahre: Käseigel
Ebenfalls ein Hingucker auf jeder Party-Anrichte: der Käseigel. Käsespieße mit Emmenthaler oder Gouda und Trauben werden mit Zahnstochern formschön auf eine Melonenhälfte, eine halbe Grapefruit oder ein (nicht mehr ganz so frisches) Brot drapiert. Bild in Detailansicht öffnen
Essen der 1950er-Jahre: Mettigel
Der kontroverse Vetter des Käseigels ist der Mettigel. Das rohe Schweinehack wird zur Igelgestalt aufgehäuft und mit Zwiebelspalten oder Salzstangen bestachelt. Kontrovers ist auch seine Herkunft, denn in Party-Kochbüchern der 1950er-Jahre findet sich der Mettigel nicht. Bild in Detailansicht öffnen
Essen der 1950er-Jahre: Kalter Hund
Zum Abschluss etwas Süßes: In den 1950er-Jahren wird auch das Kokosfett erschwinglich und damit der „Kalte Hund“ populär: eine Schoko-Masse mit Butterkeksen. Im elektrischen Kühlschrank, der in die moderne Küche Einzug hält, erhärtet der „Kuchen ohne Backen“, dessen Oberfläche an eine Hundeschnauze erinnert. Bild in Detailansicht öffnen

Geschmacklich darf‘s gerne ein bisschen mehr sein

Nicht umsonst wird die Wirtschaftswunderzeit auch als die Zeit der „Fresswelle“ bezeichnet. Nach Zeiten mit Essenmarken und Rationalisierungen wird in den 1950er-Jahren nicht mehr gekleckert, sondern richtig aufgefahren.

Kulinarisch orientiert man sich in der jungen Bundesrepublik am Vorbild aus den USA: Mayonnaise, Aspik und reich verzierte Cremespeisen stehen hoch im Kurs und sind nun auch für den deutschen Durchschnittshaushalt erschwinglich.

„I Love Lucy“
Perfekte Fernseh-Idylle: In amerikanischen Fernsehserien wie „I Love Lucy“ wird eine Heim-Idylle vorgelebt, die auch im Wirtschaftswunder-Deutschland sehr gut ankommt.

Als aus den USA schließlich auch die Mode der Cocktailpartys nach Deutschland herüberschwappt, wird das Kalte Buffet zum Must-Have. Und zwischen Schnittchen, Aufschnitt-Platten, Käseigel und gefüllten Eiern, da thront er inmitten der Köstlichkeiten auf der Anrichte: der Nudelsalat.

So himmlisch der Nudelsalat auch ist – weniger ist mehr. Mit dem Wirtschaftswunder hält in der deutschen Mitte auch der Wohlstandsbauch Einzug … und damit zwangsläufig auch diätkonforme Nudelsalat-Kreationen.

Gespräch Meine Nachkriegseltern und ich – Die Historikerin Miriam Gebhardt ermuntert die Boomer zum Generationendialog

Wie wurden meine Eltern, was sie sind? Wie haben sie mein Leben geprägt? Die Historikerin Miriam Gebhardt sucht Antworten, indem sie ihr Wissen zur Nachkriegszeit mit persönlichen Erfahrungen verknüpft.

SWR2 Tandem SWR2

Nudelsalate für Nicht-Traditionalisten

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Dominic Konrad