Wir sind seit Millionen von Jahren so ausgerichtet, alles an Kalorien mitzunehmen, was wir bekommen können – um zu überleben. Nach dem Motto 'Iss was Du kriegen kannst und bewege Dich so wenig wie möglich'.
Prinzip: kleine Schritte für die Gesundheit
Der einzige Weg, dem angeborenen Verhalten zu entkommen, sind Tricks, meint Christine Joisten, die die Abteilung Bewegungs- und Gesundheitsförderung an der Sporthochschule Köln leitet: zuerst schaut sie sich das Ziel an. "Was meine ich denn damit? Mehr Sport im Verein machen oder am Tag mehr Schritte gehen?" Und dann das große Ziel in kleinere "Ziel-chen" herunterbrechen und diese dann auch wirklich angehen.
Machbare, realistische Ziele setzen, die zu einem passen. [...] Jeder, der seine Fitness steigert und neu einsteigt, hat den größten gesundheitlichen Nutzen am Anfang.
Orthopäde Dr. Matthias Manke | 30.6.2023 "Dr. Draußen": so hilft uns die Natur, wieder Kraft zu tanken
Für Dr. Matthias Manke ist die Natur die beste rezeptfreie Medizin gegen Zivilisationskrankheiten. Er plädiert für mehr Bewegung draußen - Outdoor Fitness als Kraftquelle.
Bewegung ist immer gesund
Man muss nicht immer Schwimmen, Laufen oder Rad fahren, sagt Christine Joisten. Das gehe auch mit einfach mehr Bewegung über Schritte – und damit sind nicht die 10.000 Schritte am Tag gemeint, die für Ungeübte anfangs nicht leicht zu erreichen sind.
Eine Studie aus Japan hat gezeigt, dass bei 1.000 Schritte mehr am Tag die Sterblichkeit schon um 15 Prozent gesenkt wird. Bei 500 Schritten mehr sinkt das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen schon um 7 Prozent.
Rechnet man das um, sehen diese Schritt-Ziele gar nicht unerreichbar aus: mit 5 oder 10 Minuten mehr Gehzeit am Tag kann man bereits enorm viel für seine Gesundheit tun. Der medizinische Hintergrund: Im Bauchfett beispielsweise entstehen Botenstoffe, die im Körper in einem äußerst komplexen Wechselspiel Schaden anrichten können.
Durch Bewegung werden diese Botenstoffe sozusagen unschädlich gemacht – Bewegung wird zum "Wirkstoff für die eigene Gesundheit". Da ist es dann egal, ob das im Fitness-Studio, auf dem Fahrrad, beim Tanzen oder beim Spazierengehen passiert.
Egal, in welchem Alter ich mit Bewegung beginne: Es hat immer einen gesundheitlichen Nutzen.
Sport, Ernährung, Genuss: So bekommen wir es unter einen Hut
Essen aus Langeweile ist das, was sich noch am besten vermeiden lässt, denn das hat überhaupt nichts mehr mit Genuss zu tun.
Und wie sollen wir uns ausgewogen ernähren? Als besonders gut geeignet sind laut Prof. Christine Joisten die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Pflanzen-basiert, ausgewogen, mit Genuss essen, nicht zu fett, zu salzig, genügend Wasser trinken. Ansonsten entstehe ein Teufelskreis.
Wir essen hier in Deutschland zu viel, zu fett, zu salzig. Und da [nach einem solchen Essen] merkt man dann, dass man weniger Lust hat, sich zu bewegen.
So dick war Deutschland noch nie
59 Prozent der Männer und 37 Prozent der Frauen in Deutschland sind übergewichtig. Christine Joisten engagiert sich bei der Deutschen Adipositas-Gesellschaft mit dem Schwerpunkt "Körperliche Aktivität im Kindes- und Jugendalter" und weiß, was Kindern und Jugendlichen hilft, um nicht übergewichtig zu werden.
Wichtig sei, so Joisten, den Glauben an sich zu behalten, bewusst zu sehen, was man erreicht hat. Und bei den Zielen realistisch zu sein: 1 bis 2 Kilo pro Monat seien machbar. Und "wenn's mal nicht klappt, gibt es ja noch den nächsten Monat": Also nicht den Misserfolg, sondern das Erreichte sehen.
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Wie fit sind Kinder in Baden-Württemberg? Fitter als im bundesdeutschen Durchschnitt, sagt Prof. Klaus Bös. Aber: Immer mehr Kinder sind übergewichtig oder sogar adipös.
Abnehmspritze: eine wichtige Hilfe, die nicht verteufelt werden sollte
Für Christine Joisten ist die Abnehmspritze nicht etwas, auf das man mitleidig schaut und denkt, "da lassen sich reiche Damen mal schnell ihre Fettpölsterchen wegspritzen". Für Joisten schließt sie eine wichtige Lücke zwischen Ernährung, Bewegung und Verhaltensänderung sowie den chirurgischen Maßnahmen wie etwa magenverkleinernden Operationen. Die Abnehmspritze sei eine echte Hilfe für Betroffene, die neben der Gewichtsabhnahme weitere positive Nebeneffekte habe.
Ich erlebe, dass viele Menschen sich [mit der Abnehmspritze] dann wieder bewegen können, wenn sie eine gewisse Grundabnahme gemacht haben. Ich werde die Abnehmspritze also nicht verteufeln – man muss aber auch schauen, dass sie dort eingesetzt wird, wo sie gebraucht wird.
Nahrungsergänzungsmittel: gut oder schlecht?
Bei einer ausgewogenen Ernährung brauchen wir Nahrungsergänzungsmittel nicht, sagt Christine Joisten ganz deutlich. Selbst im Leistungssport brauche man sie im Prinzip erstmal nicht. Man sollte sie nur bei echten Mangelerscheinungen einnehmen.
[Bei Nahrungsergänzungsmitteln] wird auf Basis einer Angst – ich schade mir, wenn ich's nicht nehme – gearbeitet, die ich nicht gutheiße.