Wenn es um die sogenannte Abnehmspritze geht, scheiden sich die Geister: Die einen sind misstrauisch, halten es für einen Hype. Andere sind überzeugt, dass sie ein Lösungsansatz für ein großes gesundheitliches Problem in unserer Gesellschaft sein könnte.
Die Mittel sind für die Behandlung von Diabetes und Adipositas zugelassen, bezahlt werden sie in Deutschland aber nur Menschen mit Diabetes.
Doch es könnte sein, dass diese Mittel mehr können als „nur“ den Blutzucker und Appetit zu regulieren. Darauf deuten mehr und mehr Forschungsergebnisse hin.
Künstlich hergestelltes Hormon sorgt für weniger Appetit
Das Hormon GLP1 hat mehrere Funktionen im menschlichen Körper. Es sorgt zum Beispiel nach dem Essen dafür, dass der Insulin-Spiegel ansteigt, dass der Magen-Darm-Trakt sich langsamer bewegt und wirkt direkt im Gehirn, sodass der Appetit nachlässt.
Dass es gelungen ist, dieses Hormon künstlich herzustellen, war ein wichtiger Schritt für die medizinische Forschung, sagt Jochen Seufert. Er ist Endokrinologe und Diabetologe an der Uniklinik Freiburg und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Und er hat selbst in dem Labor in den USA mitgearbeitet, in dem diese GLP1-Nachbildungen erforscht wurden.
Indem sie dafür sorgten, dass der Körper die Nachbildungen nicht so schnell wie das Original wieder abbaut, schufen die Forschenden ein sehr effektives Diabetesmittel. Und auch bei Menschen ohne Diabetes zeigt es einen Effekt: Man hat weniger Appetit, nimmt Gewicht ab. Als „Abnehmspritze“ wurden die Hormon-Nachbildungen bekannt.
Abnehmspritze könnte Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern
Man stellte aber auch fest, dass das Medikament nicht nur zur Gewichtsreduktion führe, sondern auch Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindere, so Seufert. Das sei in großen Studien gezeigt worden.
Die Prognosen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch für Knieprobleme oder Fettlebern, können durch den Einsatz der Mittel verbessert werden. Denn wenn die Grunderkrankung wie Adipositas oder Diabetes gut behandelt werden kann, reduziert man auch die Folgeerkrankungen.
Nicht-alkoholische Fettleber – wem Intervallfasten oder Abnehmspritze helfen
Geringeres Alzheimer-Risiko mit Abnehmspritze
Auch bei Demenzerkrankungen wie Alzheimer sieht man Hinweise auf eine Verbesserung. Das ist auf den ersten Blick nicht sehr überraschend, sagt Gabor Petzold, Direktor der Klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn.
Dabei habe die Abnehmspritze eine vorbeugende Wirkung, so Petzold: "Sie senken das Gewicht, (...) sie normalisieren den Blutzuckerspiegel. Sie wirken darüber oder auch auf anderen Wegen vorbeugend vor Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und von denen weiß man, dass sie ein sehr großer Risikofaktor sind für die Entstehung von Alzheimer."
Aber auch auf lokale Entzündungsvorgänge im Gehirn könne das Hormon direkt positive Auswirkungen haben. In einer aktuellen Studie hatten Menschen, die eine der GLP1-Nachbildungen zur Behandlung von Diabetes nutzten, ein deutlich geringeres Alzheimer-Risiko als zum Beispiel Menschen, deren Diabetes mit Insulin behandelt wurde.
Abnehmspritze zeigt möglicherweise direkte Effekte
Auf einen solchen Effekt, der nicht nur auf das gut eingestellte Diabetes oder eine Gewichtsabnahme zurückzuführen ist, deuten auch Ergebnisse bei anderen Erkrankungen - zum Beispiel Parkinson oder Nierenerkrankungen.
"Tatsächlich kann dieses Medikament unabhängig von der Gewichtsreduktion bei diesen Patienten auch die Nierenfunktion länger erhalten. Das heißt, da können wir davon ausgehen, dass möglicherweise direkte Effekte an der Niere von diesem Medikament diese positiven Effekte vermitteln", so Seufert.
Doch die Studienlage ist noch dünn. Die Ergebnisse sind wissenschaftlich noch nicht gesichert.
Alleskönner Abnehmspritze? - Studienlage noch dünn
Auch wenn noch viel Forschung aussteht, Jochen Seufert sieht ein großes Potential in dieser Behandlungsform. Besonders, weil viele Patienten und Patientinnen nicht nur eine der Erkrankungen haben, die möglicherweise behandelt werden könnten. So könne man womöglich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, meint Seufert - nämlich bei Menschen, die mehrere dieser Erkrankungen haben.
Aktuell laufen die ersten großen Studien, die den Effekt dieser Medikamente zum Beispiel auf Alzheimer untersuchen. In zwei Jahren wird mit den ersten solideren Ergebnissen gerechnet.