SWR2 lesenswert Kritik

Pedro Lemebel – Torero, ich hab Angst

Stand
Autor/in
Eva Karnofsky

Er nennt sich „die Tunte von der Front“, und er verliebt sich ausgerechnet in einen jungen Untergrundkämpfer. Der hat aber nur Interesse am Haus des alternden Transvestiten: als Waffenlager.

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Pedro Lemebels (1952-2015) grandioser Roman „Torero, ich hab Angst“ erzählt die anrührende Geschichte einer unerwiderten Liebe unter der chilenischen Diktatur. Eine Liebe geprägt von Armut, Unterdrückung und Diskriminierung. Aber auch von Mut und Freundschaft.

Pedro Lemebel hat seinen Roman „Torero, ich hab Angst“ in seiner Heimat Chile 2002 veröffentlicht, doch er spielt 1986, zur Zeit der Militärdiktatur unter General Pinochet. Und um diese Diktatur geht es. Oder besser: um den Widerstand dagegen.

Einerseits um den bewaffneten Widerstand, der im September 1986 in einem Attentatsversuch gegen den Diktator gipfelt, und andererseits um den inneren Widerstand vieler Menschen, um den Rückzug in eine eigene Welt, in der man sich die Freiheit, die man zum Überleben braucht, zumindest versucht zu nehmen.

Weshalb der Roman von universellem Interesse ist. Das ist er auch, weil Pedro Lemebel wie nebenbei noch ganz großartig über eine unerwiderte queere Liebe schreibt, aus der sich eine tiefe Freundschaft entwickelt.

Alternder Transvestit liebt jungen Widerstandskämpfer

Protagonistin ist ein alternder Transvestit, die sich „Tunte von der Front" nennt und sich selbst als Frau sieht. Sie gewährt dem Widerstandskämpfer Carlos Unterschlupf und verliebt sich in den mehr als zwanzig Jahre jüngeren Mann.

Erzählt wird die Geschichte aus der Rückschau von einem allwissenden Erzähler, der die Sicht der Tunte und ihre meist betont weibliche Diktion sowie ihre Vorliebe für Kitsch übernimmt. Durch Einschübe in der Ich-Form entsteht der Eindruck, die Tunte spreche selbst, was Nähe zu ihr herstellt und den Roman so anrührend und grandios macht:

Ja, sagte sie, lange nachdem Carlos gegangen war, ja, ich will mit, natürlich will ich mit. Sie könnte Hühnchen und Eier kochen, fürs Picknick, und diese göttliche Decke mitnehmen, die sie mit Vögeln und Engelchen bestickt hatte, und Batterien für das Radio kaufen, damit sie Musik hatten, und vielleicht einen Ball, damit Carlos ein bisschen kicken konnte. Und ein Buch. Nein, lieber eine Zeitschrift, die könnte sie mit Muße durchblättern auf diesem großen, grünen Teppich. Fast wie ein Gemälde, wie dieser alte Kalender, auf dem ein kleines Mädchen mit Lockenhaar im weiten Rund ihres Rockes schläft.

Lemebel verbindet Attentat und Klamauk

Das Picknick dient in Wirklichkeit den Vorbereitungen des Attentats auf Pinochet – da hat Lemebel Mut zum Klamauk. Durch Zufall sieht die zweite Hauptfigur des Romans, die Gattin des Diktators, aus ihrer Limousine die Tunte auf ihrer göttlichen Stick-Decke sitzen. Lemebel widmet der Pinochet-Gattin einen zweiten, allerdings kürzeren Erzählstrang, der sich satirisch über eine ignorante Oberschicht und die Militärs lustig macht.

Der Erzähler begleitet auch die First Lady. Ihre Gedanken ranken sich um die neueste Mode und um den attraktiven Gonzálo, ihren schwulen Stylisten. Der hat dem Diktator, der ebenfalls kurz zu Wort kommt, das Attentat prophezeit, doch der General schenkt Schwuchteln keinen Glauben. Seine Gattin aber ist Gonzalo in unerwiderter Liebe genauso zugetan wie die „Tunte von der Front“ ihrem Carlos.

Eine neue Sprache der Queerness

Der Autor erweckt einerseits Mitgefühl mit der Tunte, einer durch die Härten des Lebens früh gealterten, zahnlosen Mittvierzigerin. Andererseits zeichnet Lemebel seine Tunte als eine mutige Person, die trotz der Abscheu, mit der das Regime Homosexuellen begegnet, zu ihrer Sexualität steht, sich in ihrem baufälligen Haus ohne Möbel mit Tüll und Flitter ihr eigenes Reich schafft und allen Anfeindungen trotzt.

Da dürfte der Autor, selbst homosexuell und vom Regime deswegen aus dem Schuldienst entlassen, auf eigene Erfahrungen zurückgegriffen haben. Der Roman spielt vor dem Hintergrund von gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen und einer Teilung Chiles in Arme und Reiche.

„Torero, ich hab Angst“ erschien bereits 2004 unter dem Titel „Träume aus Plüsch“ auf Deutsch. Übersetzer Matthias Strobel hat nun eine neue Fassung vorgelegt, die der geänderten Einstellung zu Queerness Rechnung trägt. Er hat dabei eine Sprache gefunden, die ebenso schillert wie die Tunte und schwuler Sexualität respektvoll begegnet.

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Autor/in
Eva Karnofsky