Liebe, Eifersucht, Verrat, Tabubruch – die fatale Beziehungsgeschichte „Die Rose von Nishapur“ von Amir Hassan Cheheltan führt ins Innere einer Familie im heutigen Teheran und zeigt wie aktuell historische Themen sind.
Amir Hassan Cheheltan im Gespräch: „In my apartment, in the building that I live in, 20 families live in this building, and we had two couples, who live together without marriage. And this is the real picture of my country, or at least the real picture of Tehran as the mega city and as the heart of Iran."
Amir Hassan Cheheltan kennt zwei unverheiratete Paare im eigenen Haus, das sei heute Realität in Teheran, dem Herzen Irans, sagt er. Auch zwei seiner Romanfiguren, der Schriftsteller Nader und die junge Grafikdesignerin Nastaran, leben in „weißer Ehe“.
Abtrünniger, Ungläubiger, Hedonist: Der Dichter Omar Khayyam
Aber dann kommt der attraktive, alle betörende Engländer David, benennt ihre Lebenslügen, und die Dreiecksgeschichte driftet in die Katastrophe.
Dieses Beziehungsdrama unterfüttert Cheheltan, der Homme de lettres, mit philosophischen Gesprächen und historischen Lektionen. Im Zentrum Omar Khayyam, ein Dichter aus dem 11./12. Jahrhundert. David verehrt Khayyam, den Abtrünnigen, Hedonisten, den Gegenspieler aller Glaubensverkäufer.
So Amir Hassan Cheheltan: „In his poetry, he's against God, he's against everything. He cares only about this moment. I want to clear up something at the present. Khayyam is a figure that is against everything that Islamic Republic is based on and at the same time, I wanted to show a modern life in Tehran."
Historie zur Klärung der Realität also. Khayyam lehnte alles ab, worauf die heutige Islamische Republik basiert, resümiert Amir Cheheltan. Wozu noch Selbstmordattentate, wenn es kein Paradies gibt? Wozu Wein und Musik im Diesseits verbieten, wenn kein Jenseits existiert, lässt er seine Figuren fragen, öffnet Diskussionsräume und zeigt die Gegenwart im Spiegel der Vergangenheit.
Aus der persischen Literaturgeschichte zitiert er eine Fülle von Beispielen, auch zu Tabus wie Homosexualität. Europa sei prüde gewesen, sagt er und lässt das Personal seines bildungstrunkenen Romans überall debattieren, auf Märkten, beim opulenten Essen, im Theater. Über Gott und die Welt, Orient und Okzident, es wird eine Menge geredet und zugleich verhüllt.
„Manchmal redet man viel, um etwas zu verbergen“
Amir Hassan Cheheltan: „This is my style in narration always, that I am not so direct to anything. Because I think a human life is very complicated, and sometimes you talk a lot just because you want to hide something."
Das menschliche Leben sei kompliziert, manchmal rede man viel, um etwas zu verbergen, weiß Amir Hassan Cheheltan, Ende 60, ein Schriftsteller von stilistischer Raffinesse, ein Meister von Innenräumen, der hinter Fassaden blickt, der mit Erwartungen spielt und immer wieder falsche Fährten legt. Nastaran heißt seine weibliche Hauptfigur, sie kommt aus Nischapur wie Omar Khayyam und wie die echte Rose von Nischapur, die Blume, die im fernen England, am Grab von Khayyams Übersetzer vertrocknete.
Amir Hassan Cheheltan ist Iraner und Weltbürger. In der Zeit der Massenhinrichtungen in Iran Ende der 90er-Jahre lebte er in Italien, später in Deutschland und den USA.
Immer ging er nach Teheran zurück, das Land sei sein Zuhause, die Stadt sein Arbeitszimmer, sagt er:
„I am so connected to my home, the country, my country is my home. The capital of my country is my study room. And whereever in the world I am, I feel like a passenger who is in the station to get the next train."
Wo immer er in der Welt sei, er fühle sich wie ein Passagier, der auf den nächsten Zug warte, meint Cheheltan. Auch diesmal wird er wieder aus Europa zurückkehren in die Islamische Republik. Er hält sich fern von politischen Organisationen, selbst dem Schriftstellerverband, in dem er einst aktiv war. Seit vierzig Jahren publiziert er, seit zwanzig Jahren können seine Bücher nur im Ausland erscheinen. Aber er schreibt, in Romanen und deutschsprachigen Zeitungen, erstaunlich deutlich über Korruption, Inflation, Frauen, den offenen und stillen Protest, nichts davon gibt es auf Persisch.
Irans „Weg des Todes“: eine Sackgasse?
Amir Hassan Cheheltan: „In fact, after the Mahsa movement, maybe the government was even more strict. So many lives were lost during this movement. Many eyes were blinded in the streets, in the protest scene. But like any other movement it has got up and down. It is still an ongoing movement, and nowadays, there is a lot of people active in social obedience. You see many girls in public places without hijab."
Zu Beginn der Jina Mahsa Amini-Bewegung sei das Regime rigider gewesen, so viele verlorene Leben, beim Protest in den Straßen erschossen oder geblendet, aber die Bewegung gehe weiter, immer mehr junge Frauen zeigten sich öffentlich ohne Hijab, sagt Cheheltan. Irans neuer Präsident Massud Peseschkian, ein Reformer im Amt, schien ein Zeichen, als hätte das Regierungssystem der Mullahs verstanden, dass der rigide Kurs eine Sackgasse, ein „Weg des Todes“ gewesen wäre. Aber die Hinrichtung eines Deutschen wäre ein fataler Fehler gewesen. Den Preis zahlten am Ende wieder die Iraner, sagt Cheheltan. Die Reformer sind eliminiert, aber die Mittelschicht verweigert sich, nur 15 Prozent der Bürger Teherans gingen zur Wahl.
Iraner haben mehrere Gesichter
Die Menschen lebten in eigenen Welten, hinter den Wohnungstüren meist liberaler, Iraner hätten drei, vier Gesichter, sagt er. Und mit dem Krieg in Nahost wolle die Mehrheit nur noch „Iran first“, keine Einmischung im Libanon oder in Palästina. Für Nastaran, „Die Rose von Nischapur“ im Roman, gibt es kein glückliches Ende. Aber, wo es keine Hoffnung gebe, sagt Amir Hassan Cheheltan, müssten wir sie schaffen.
Ost und West seien heute ein Dorf und Literatur immer eine Hilfe, sie sei alles in der Welt: „We should create hope if there is not any. Of course, the West and East, we are living in a very small village now. Always, literature is helpful. Literature is everything in the world."
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