Joachim Meyerhoffs sechster Teil seiner Erinnerungsgeschichten. Es geht von Berlin an die Ostsee, wo er nach seinem Schlaganfall und einigen Krisen, wieder zurück ins Leben findet. Der eigentliche Star des Buches ist die äußerst vitale Mutter. Und wie immer bei Meyerhoff liegen Tragik und Komik dicht beieinander.
Will man von seinem Leben erzählen, muss man entweder ein großer Poet und Dichter sein, sprachlich etwas entstehen lassen, das in keiner Form so erlebbar wäre, oder man braucht ein aufregendes, von dramatischen Ereignissen durchzogenes Leben. In einer psychiatrischen Klinik aufzuwachsen, als Sohn des medizinischen Leiters, inmitten von mehr oder minder liebenswürdigen, in jedem Fall aber sonderbaren Gestalten, das ist großer Romanstoff.
Reisen nach Amerika, die Sehnsucht nach Behausung, schicksalhafte Todes- oder Krankheitsfälle sowie die erste große Liebe sind es ebenfalls. Von all diesen Dingen erzählt Joachim Meyerhoff, und doch verlässt er sich nicht darauf. Er bleibt immer bei einem beiläufigen Ton, der Selbstverständlichkeit suggeriert, wo wahrhaft Aufregung geherrscht haben muss.
So beginnt er sein neues Buch „Man kann auch in die Höhe fallen“, das zwar die Genrebezeichnung Roman trägt, sich aber liest wie ein Memoire, eine sprachliche Verarbeitung von Gewesenem, und das mit den Nachwehen seines Schlaganfalls einsetzt.
Aus Berlin zur Mutter an die Ostsee
Meyerhoff verlässt Berlin, die Stadt, die ihm nach dem Schlaganfall in Wien zur neuen Heimat werden sollte und zieht sich zu seiner Mutter an die Ostsee zurück. Eine Art Privat-Sanatorium in mütterlicher Hand, nicht zu hart, aber auch nicht zu locker, soll ihn wieder in die Balance bringen und ihm auch über eine unerklärbare Schreibblockade hinweghelfen.
Die offene Art zu erzählen, nimmt die Leser gefangen
Es sind diese kleinen Geschichten, oft nicht mehr als Anekdoten, die Meyerhoff in seinen Text streut, und deren Entstehen er wiederum mit anderen Worten beschreibt, als gäbe es zwei Ebenen des Textes, verschiedene Zeiten und Orte. Tatsächlich aber sind wir unmittelbar dabei, wie dieses Buch entsteht. Zumindest fühlt es sich so an. Hier wird nicht tiefenpsychologisch analysiert oder auf einer philosophischen Ebene reflektiert, sondern einfach nur erzählt.
Mit dem Gestus des „weißt Du noch“ holt er Geschichten hervor, die er selbst erlebt, aber keineswegs heldenhaft gemeistert hat. Das beginnt bei einer Erzählung, die der kleine Joachim in der Grundschule mit Bleistift in ein Heft geschrieben hatte, und endet bei einem Wutausbruch bei der Geburtstagsfeier seines Sohnes in Berlin. Doch die offene Art, wie Meyerhoff keinerlei Rücksicht auf sich selbst nimmt und den Erzähler oft in ausweglosen Situationen schildert, nimmt den Leser gefangen.
Diese kleine Schulheftgeschichte zum Beispiel, als Faksimile im Buch abgedruckt, ist so voller Fehler, dass kaum ein orthografisch richtiges Wort übrigbleibt und dazu kommentiert der offensichtliche Legastheniker, dass er schon bei seinem eigenen Namen Joachim Phillip Maria Meyerhoff ins Straucheln kam und nicht wusste, ob Phillip mit zwei l oder zwei p zu schreiben sei.
Meyerhoff wird weiter schreiben – hoffentlich!
Tatsächlich hilft ihm die beruhigende Gegenwart der Mutter, das tägliche Schwimmen in der Ostsee oder dem eigenen Teich, die Gartenarbeit, die nie aufzuhören scheint und die Leichtigkeit des Seins, dem jede Verantwortlichkeit entzogen wurde.
Den zweiten Band, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ über seine Kindheit in der Psychiatrie, hat Sonja Heiss erfolgreich verfilmt. Bei dem bildstarken Stoff lag das nahe. Joachim Meyerhoff, das wissen wir am Schluss dieses Buches, wird weiterschreiben. Auf eine weitere Verfilmung, die diese Schlussszene enthalten könnte, müssen wir hoffen.
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Gespräch Joachim Meyerhoff – Hamster im hinteren Stromgebiet
Joachim Meyerhoff erweist sich einmal mehr als Meister zwischen schreiender Komik und tiefer Traurigkeit. Im fünften Band seines Zyklus „Alle Toten fliegen hoch“ verarbeitet er den eigenen Schlaganfall, den der Theater-Schauspieler vor zwei Jahren erlitt.
Im Gespräch mit Anja Höfer erklärt er, warum es ihm so wichtig ist, gegen die Krankheit anzuschreiben und ihr auch komische Seiten abzugewinnen.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 307 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-462-00024-5
lesenswert Magazin Die Macht des Erzählens. Neue Romane aus Deutschland, Buchmesse ohne Hallen und ein Schriftstelleraufstand gegen Trump
Redaktion und Moderation Anja Höfer
Mit neuen Büchern von Joachim Meyerhoff, Thomas Hettche, Ferdinand von Schirach, Stephan Lohse
Aktuell in Karlsruhe Beeindruckendes Solo: Anne Müller spielt Joachim Meyerhoff am Badischen Staatstheater
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