In diesem Jahr wird der Norweger Jon Fosse mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Bei Rowohlt erscheint jetzt der letzte Teil seiner siebenbändigen Heptalogie. Wieder begegnen wir dem einsamen Maler Asle an der Küste Norwegens: Ein großer Roman über die Fragen der Existenz, dunkel, melancholisch, aber auch voll metaphysischer Kraft.
Und da ist er wieder: Asle, der einsame Maler mit der schwarzen Cordjacke, dem schwarzen Mantel, der braunen Schultertasche, dem grauen Pferdeschwanz. Wortkarg, fast verstummt, schwermütig, ganz in sich gewendet, lebt er in einem Küstendorf bei Bergen zwischen den Fjorden Norwegens.
Nur der Bauer Asleik besucht ihn und lädt ihn zu Weihnachten ein. Seit seine Frau Ales vor Jahren starb, wohnt Asle allein, nur mit Brage, dem Hund eines anderen Asle, einem Jugendfreund, den er im Delirium im Schnee fand, und der nun im Sterben liegt.
Ein Alter Ego, eine Variante des eigenen Lebens. Auch er selbst hätte so enden können, zerstört vom Alkohol, denkt Asle. Immer wollte er Bilder, die er sah, „wegmalen“, aber manche Erinnerungen, wie die erste Begegnung mit Ales, seiner großen Liebe, sind eingebrannt. Fast unmerklich verschwimmen das Ich der Jugend und des Alters, er und ich, damals und heute in diesem Vexierspiel.
Ein Roman wie eine Meditation
Mit jedem Buch seines siebenbändigen Künstlerzyklus fängt Jon Fosse von vorne an, wie beim Rosenkranzgebet. Immer wieder endet er mit einem Gebet wie in Trance. Auch diesmal steht Asle zu Beginn vor seinem zentralen Bild: zwei Striche nur, lila und braun, die sich diagonal kreuzen zum X, einem Andreaskreuz, früher ein Zeichen für Christus, heute für einen Bahnübergang.
Nobelpreis 2023 Jon Fosse erhält den Literaturnobelpreis 2023
Der norwegische Autor Jon Fosse erhält den Literaturnobelpreis 2023. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm bekannt.
Asle sucht die Wahrheit hinter dem Bild. Das Malen hat er aufgegeben, versunken in sein Inneres. Die Wiederholungen auf- und abtauchender Wörter und Motive, der Schnee, die Stille, Mantel, Jacke und Tasche, verlangsamen den Rhythmus, machen das erzählende Kammerspiel zu einer Meditation, einer Litanei. Kein Plot, kaum Handlung, eher eine Kreisbewegung mit suggestivem, melancholietrunkenem Sog.
„Der neue Name“, das sind zwei Tage auf gut 300 Seiten, in Auflehnung gegen die Zeit. Asle sitzt da, apathisch, verfolgt von der Erinnerung, allein in seiner Stube, seinem Atelier, immer wieder mit dem Blick durchs Fenster aufs Wasser, auf einen Peilpunkt in den Wellen des Fjords.
Das ist das Betörende dieses Romans: seine Sprache in der Sprachlosigkeit, das äußere Schweigen und der innere Bewusstseinsstrom, aufs Wesentliche reduziert, ohne Punkt, nur Kommas und diese Melodie der Wiederholung wie die Wellen des Fjords.
Tiefe religiöse Erfahrung des Autors Fosse und seiner Figur
Geht es in den vorigen Büchern des Romanzyklus um Asles Ehe, um Liebe und Verlust, Herkunft, Identität und das Erwachsenwerden in einer pietistischen Welt, so handeln Band VI und VII nun von der Berufung zum Künstler, von ersten Erfolgen, existentiellen Fragen der Kunst und der Liebe, von Leben, Tod, Vergänglichkeit und der tiefen religiösen Erfahrung Asles, der, wie Jon Fosse, zum Katholizismus konvertierte, den Mystiker Meister Eckhart liest und über das Wesen Gottes philosophiert:
Melancholie, Dunkelheit, aber auch: ein Licht
Der Roman „Ein neuer Name“, ja, die ganze kunstvoll gewobene Partitur der Heptalogie zeigen Jon Fosse als überaus würdigen Nobelpreisträger, der sein dramatisches Werk als meisterhafter Erzähler fortschreibt, brillant übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel.
Nun, in Band 7 stirbt der Maler vor dem Weihnachtsessen bei Freunden. Die zeitgleich erscheinende Erzählung „Ein Leuchten“ liest sich wie eine Variante von Asles Tod. Darin verliert sich der namenlose Erzähler in einem tief verschneiten Wald und erfriert. Aber beides, „Ein Leuchten“ und „Ein neuer Name“ wären keine Fosse-Bücher, würden Melancholie und Dunkelheit, Trauer und Tod nicht erhellt durch eine lichte Gotteserfahrung.
„Ich bin als Licht gekommen, um in dieser dunklen Welt zu leuchten, damit alle, die an mich glauben, nicht im Dunkel bleiben“, sagt Jesus im Johannes-Evangelium. Gott ist in allem, der Glaube ein Korrektiv unserer materialistischen Welt. Der Glaube kann Heilung sein und innerer Halt, davon ist der Katholik Jon Fosse überzeugt. Und so folgt Asle, am Ende der Erzählung, dem Tod ins Licht.