Literatur

Preis der Leipziger Buchmesse für Kristine Bilkaus Roman „Halbinsel“ – Im Meer der Zerbrechlichkeit

Stand

Von Autor/in Carsten Otte

Kristine Bilkau hat für ihren Roman „Halbinsel" den Preis der Leipziger Buchmesse Belletristik erhalten. Der Roman beunruhige mit lauten und leisen Fragen an die Gesellschaft, sagt die Jury in ihrer Begründung.

Nicht nur eine literarische, sondern auch politische Wahl

Es ist eine Entscheidung für eine ruhige Prosa, in der eine Welt in äußerst unruhigen Zeiten beschrieben wird. Kristine Bilkaus Roman „Halbinsel“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse auszuzeichnen, ist damit nicht nur eine literarische, sondern auch politische Wahl – geht es doch um die Verletzlichkeit menschlicher Beziehungen und um das Leben in einer beschädigten Natur gleichermaßen.

Diese Bücher wurden ausgezeichnet Preis der Leipziger Buchmesse 2025 für Kristine Bilkau: „Ich bin ziemlich überwältigt“

Die Preise der Leipziger Buchmesse 2025 sind vergeben: In der Kategorie Belletristik gewinnt der Roman „Halbinsel".

Eine Landmasse, die auch bei Flut über dem Wasserspiegel hinausragt, die vom Meer überwiegend, aber nicht vollständig umgeben ist und eine oft schmale Verbindung zum Festland hat, wird Halbinsel genannt. Große Halbinseln unterscheiden sich kaum vom Festland, aber die kleineren Landzungen, wie sie auch an den deutschen Küsten zu finden sind, erinnern an die Vergänglichkeit, an das sich ständig ändernde Verhältnis von Meer und Küstenlinie.

Zurückgezogenes Leben auf der Halbinsel Nordstrand

Von dieser Fragilität erzählt nun auch Bilkaus Roman „Halbinsel“: Am nordfriesischen Wattenmeer lebt die Endvierzigerin Annett im alten Haus der Großtante. Auf der Halbinsel Nordstrand hat sie nach dem frühen Tod ihres Mannes Johan die Tochter Linn allein großgezogen; hier lebt sie nun zurückgezogen mit den Erinnerungen an eine große Liebe, während das längst erwachsene Kind die vom Klimawandel bedrohte Welt retten möchte.

Linn engagiert sich als Umweltvolontärin in einem Aufforstungsprogramm, rast von einer Tagung zur nächsten, doch irgendwann ist die Erschöpfung zu groß. Bei einem Vortrag in einem noblen Hotel in Norddeutschland kippt sie um: Kreislaufkollaps.

Mutter und Tochter müssen ihre Beziehung neu ordnen

Die Mutter holt Linn nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt zurück nach Hause, auf die heimische Halbinsel, und nun müssen die beiden ihre Beziehung neu ordnen, die einer psychischen Küstenlinie gleicht, in der es ebenfalls starke Gezeiten gibt.

Besonders eindrücklich sind Annetts Zwiegespräche mit dem toten Mann. Wenn Linns Vorwürfe sich mehren, die Mutter habe der Tochter aus Furcht vor Verletzungen eine allzu heile Welt vorgespielt, fallen ihre Johans mahnende Worte ein.

Beruhigend und hilfreich sind die Ratschläge aus der Vergangenheit, doch irgendwann hat man das traurige Gefühl, dass die Witwe die im Roman kursiv gesetzten Formulierungen weitgehend erfindet, um das große Gefühl der Zuneigung, das sich nicht zuletzt im intensiven Gespräch der Eheleute zeigte, auch nach dem Tod des Gatten weiterleben zu lassen.

Das psychologische Geflecht ist die Stärke dieses Romans

Die Mutter wird nicht nur der Tochter etwas Zeit für ihre Erholung geben müssen. Im Zuge der tastenden Annährung begreift die Erzählerin, dass auch sie sich neu erfinden muss, zu sehr drücken Einsamkeit und die Frage nach dem Sinn ihrer Lebensroutine.

„Woher kam bloß dieses Gefühl, dass alles ständig zerbrechlich sein konnte?“ fragt sich die Erzählerin, und die Antwort kann nach der Lektüre dieses eben auch sprachlich fragilen Romans nur lauten: Weil eben alles zerbrechlich ist. Die Stärke dieses Romans ist das psychologische Geflecht innerhalb einer handfesten Climate Fiction.

Die prominenten Autoren Wolf Haas und Christian Kracht gingen leer aus

In Leipzig waren in der Kategorie Belletristik zwei prominente Autoren mit ihren erfolgreichen Werken nominiert, die auch auf den Bestsellerlisten stehen. „Wackelkontakt“ von Wolf Haas und „Air“ von Christian Kracht. Doch die Favoriten hatten es beim Preis der Leipziger Buchmesse immer schon schwer.

Vielleicht sorgt die Auszeichnung für Kristine Bilkau auch dafür, dass ihre vergangenen Bücher entdeckt werden. Von der Flut, die Liebe heißt, kann kaum eine deutschsprachige Schriftstellerin so sehnsüchtig schreiben wie Kristine Bilkau, die mit ihrem nun preisgekrönten Roman ein schönes Bild für das Lebensgefühl der allgegenwertigen Fragilität gefunden hat: Wir alle sind umtoste Halbinseln.

Platz 2 (50 Punkte) Kristine Bilkau: Nebenan

Ein moderner Schauerroman, der das Grauen im Alltäglichen findet. Plötzlich verschwinden die Nachbarn spurlos. Ein mysteriöser Junge taucht auf. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Einbildung verschwimmen.

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