Kristine Bilkaus neuester Roman „Halbinsel“ ist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 nominiert. „Ein sensibel gebauter Roman über emotionale Altlasten, über Großzügigkeit und über das Geschäft mit dem Klima-Gewissen“, heißt es in der Jurybegründung.
Eine Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer. Hier an der Nordsee lebt Annett, fast fünfzig, allein in einem kleinen Haus. Sie leitet die Bibliothek in der nahen Kleinstadt und hat einen Hund. Seit zwanzig Jahren ist sie Witwe, seit fünf Jahren ist die Tochter aus dem Haus. Annett hat sich eingerichtet im Allein-Sein.
Doch plötzlich zieht Linn wieder bei ihrer Mutter ein. Nach dem Studium im Ausland und einem erfolgreichen Start ins Berufsleben hatte Linn einen Zusammenbruch – und will jetzt nur noch ihre Ruhe haben. Schlafen, essen und auf gar keinen Fall die Zukunft planen. Erstaunt stellt Annett fest, dass sie damit gar nicht gut umgehen kann.
Fünfundzwanzig würde sie diesen Winter werden, alle diese Jahre, diese gesamte Zeit schien mir so überschaubar, so verschwindend schnell vergangen, als stünde ich an einer Bahnschranke und ein Zug rast vorbei, da kommt er, da ist er, da fährt er, und dann höre ich nur noch sein Rauschen aus der Ferne wie ein Echo. Schwanger werden, ein Kind zur Welt bringen, den Partner verlieren, das Kind großziehen, es davongehen sehen, diese Jahre: hier, das sind sie gewesen, und hier, das sind die Fehler, die du gemacht hast.
Feinfühliges Mutter-Tochter-Portrait
Kristine Bilkaus Roman „Halbinsel“ ist das feinfühlige Porträt einer Mutter-Tochter-Beziehung, bei der die Trauer um den früh verstorbenen Partner und Vater immer mitschwingt. Nach dessen plötzlichen Tod aufgrund einer nicht erkannten Herzinsuffizienz versuchen beide, zu funktionieren. Das gelingt ihnen auch.
Nach Linns Zusammenbruch haben die beiden wieder einen gemeinsamen Alltag – doch die Perspektive auf die jeweils andere hat sich verändert. Die gemeinsamen Wanderungen durchs Watt sind exemplarisch für die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen.
Kristine Bilkau: „Bei meinen Romanfiguren finde ich, dass das Watt in bestimmten Situationen ihre Ängste hervorlockt, würde ich sagen. Die Angst der Mutter um das Kind, die Angst, dass einem überhaupt auch im Leben, wenn man da so durchmarschieren muss, zwischendurch die Kraft verlässt, dass man mit den anderen nicht mithalten kann. Zum Beispiel auch, wenn man in einer Gruppe wandert. Und an anderen Stellen legt das Watt aber auch die Stärken von den beiden Figuren frei, finde ich.“
Scheitern der Eltern-Generation
Kristine Bilkau beschreibt das Dilemma einer Generation von Eltern, die ihren Kindern einen zuversichtlichen Blick auf die Welt vermitteln wollen, aber angesichts von Kriegen und der Klimakrise eigentlich nur scheitern können.
Bilkau: „Es kommt ja einmal vor, dieses Gedicht von Liliencron, wo er über diese riesige Sturmflut schreibt, und die Mutter liest diese Zeilen oder erinnert sich an diese Zeilen. Sie denkt an die Vergangenheit und bei der Tochter sieht man dann schon, sie denkt an die Zukunft, das ist einfach der große Unterschied zwischen diesen beiden Generationen.“
Sinnkrise als Chance
Kristine Bilkau, im gleichen Alter wie ihre Ich-Erzählerin und in Hamburg lebend, lässt Annett voller Verständnis und Mitgefühl auf die jüngeren Generationen blicken. Und so ist es die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die bei allen Unwägbarkeiten des Lebens Sicherheit und Glück bereithält.
Die Sinnkrise der Tochter wird damit auch zu einer Chance für die Mutter, sich selbst noch einmal anders zu erleben. Mutiger, kämpferischer, neugieriger auf das Leben:
Wie sehr ich mein Leben heruntergedimmt habe in den vergangenen Jahren, denke ich nun. Wie hatte mir das passieren können? Ich stehe auf, atme einmal tief durch und frage mich, was ich am liebsten tun würde, ich, heute, jetzt.
Mehr zu Kristine Bilkau
Irgendwer fehlt immer Preis der Leipziger Buchmesse: Das sind die Nominierten 2025
In diesem Jahr wird der Preis der Leipziger Buchmesse zum 21. Mal vergeben. Nominiert werden literarische Highlights aus den Bereichen Belletristik, Sachbuch und Übersetzung.
Lesenswert Feature Im Wasser. Autoren erzählen vom Schwimmen
Sie ziehen regelmäßig ihre Bahnen, im winterlichen See und im Sommerbad: Autorinnen und Autoren, für die Schwimmen zum Leben und zum Schreiben gehört.
"Beim Schwimmen öffnen sich Gedankenräume", sagt die Schriftstellerin Kristine Bilkau, und für den Autor John von Düffel ähnelt das Eintauchen ins Wasser dem Eintauchen in die Fiktion.
Die Lyrikerin Monika Rinck schätzt die Selbstvergessenheit beim Schwimmen, und Marion Poschmann denkt über ihre Liebe zum Schwimmen im Winter nach.
Sie erzählen von Schwerelosigkeit, vom Gleichmaß der Bewegung im Wasser - und davon, wie die Leidenschaft fürs Schwimmen ihr Schreiben beeinflusst.
Von Beate Tröger.
Mehr Romane, die an der Nordsee spielen
Gespräch Mathijs Deen – Der Holländer
Zu Fuß nach Borkum – das versuchen zwei deutsche Wattwanderer in einer Nacht mit ausgeprägter Ebbe. Doch nur einer überlebt. „Der Holländer“ muss ermitteln. Hören Sie den niederländischen Krimiautor Mathijs Deen im Gespräch mit Katharina Borchardt.
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Mare Verlag, 272 Seiten, 20 Euro
ISBN: 978-3-86648-674-4