Die Oper Frankfurt legt mit einer neuen Inszenierung von Hans Werner Henzes und Ingeborg Bachmanns Oper „Der Prinz von Homburg“ ein Stück vor, das begeistert. Regisseur Jens-Daniel Herzog hat aus Kleists Drama eine traumartige Inszenierung geschaffen, die stark auf minimalistische Bühnenbilder setzt.
Als Hans-Werner Henze und Ingeborg zum ersten Mal 1952 bei einer Oper zusammenarbeiten erstaunt die Wahl: Ausgerechnet Heinrich von Kleists Preußen- und Kriegsdrama „Der Prinz von Homburg“ hatten sie sich vorgenommen. Herausgekommen ist wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine traumgleiche, kammermusikalisch geführte Frage nach der Rolle des Individuums in einer reglementierten Gesellschaft.
Gerade diese Fragestellung ist angesichts der gegenwärtigen Weltlage präsenter denn je. An der Oper Frankfurt hat Jens-Daniel Herzog die Oper neu inszeniert, Takeshi Moriuchi dirigiert und das junge Ensemblemitglied Domen Križaj gibt sein Debüt in der Titelpartie.
Abrüstung und Kammerspiel
Die berüchtigte Schluss-Sentenz „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ haben Ingeborg Bachmann als Librettistin und der Komponist Hans Werner Henze in ihrem auf Heinrich von Kleists Preußendrama basierender Oper stehen lassen, trotz aller Abrüstung der Militanz in ihrem musikalischen Kammerspiel.
In Jens-Daniel Herzogs Inszenierung an der Oper Frankfurt dreht zu diesen Worten fast das ganze Ensemble dem Publikum den Rücken zu. Nur im Vordergrund liegt er wieder wie im Schlaf, der träumende, schlafwandelnde Titelheld. Ein Traumspiel ist das Ganze.
Das allem preußisch Militärischen nach dem Zweiten Weltkrieg skeptisch gegenüberstehende Schöpferpaar Bachmann und Henze rüstet das Historiendrama um die Insubordination des Prinzen, die trotzdem den Sieg in der Schlacht von Fehrbellin erbringt, gewaltig ab. Und Jens Daniel Herzog und sein Bühnen- und Kostümbildner Johannes Schütz folgen streng dieser Linie.
Im Hintergrund vor einer farbig illuminierten Wand eine Stuhlreihe mit Kleiderständern, ein von der Kerze erleuchteter Tisch und ein auf der Drehbühne fahrender stahlumrahmter Kasten, das genügt schon für das Kammerspiel. Wenn es zur Schlacht geht, dann glüht der Hintergrund rot, der Ungehorsam des Prinzen Friedrich dräut in giftigem Grün. Ein fast schon indonesisch anmutendes Schattenspiel auf der Hinterbühne, vorne ist es hell und die Kostüme in bunten Farben illuminiert.
Das Militär trägt gelbliche Hochwasserhosen mit roter Seitennaht. Das ist schon mal eine Kostümerfindung, die keiner Armee dieser Welt stehen würde und nur erträumt sein kann. Henzes lyrisch aufrauschende Orchesterzwischenspiele für die Szenenwechsel finden hier auf offener Szene statt. Das ergibt ein wunderbares Gleiten und Schweben auf der sich drehenden Bühne aus dem Vorder- in den Hintergrund und zurück.
Eine Familienaufstellung
Alles andere ist eine Familienaufstellung. Diese Offiziere, die Kurfürstin, die Nichte Natalie – man ist da ganz unter sich in der Familie Brandenburg. Und der Patriarch quält und prüft sie ganz schön. Wenn die Bande sich erlaubt gegen das gestrenge Todesurteil über den ungehorsamen Prinzen zu revoltieren, dann empfängt das gerade aus dem Schlaf gezerrte Oberhaupt in Unterwäsche und setzt sich mit baumelnden Beinen auf den Tisch.
So sieht Abrüstung von militärischer Gewalt aus, die sich ins psychisch Pathologische gewandelt hat. Diese Mafia prüft diejenigen, die zu ihr gehören wollen mit seelischer Grausamkeit. Wenn der Prinz in sein offenes Grab blickt, das ihn hier als grell weiß erleuchtetes Leichentuch von unten anstrahlt, dann ist das das eindringlichste Bild des Abends und öffnet das Traumbild zum Abgrund hin. Hier blickt einer für uns in den Tod.
Ensemble-Homogenität
Und wie Domen Križaj diese Todesangst singt mit festem Fundament in der Tiefe, geschmeidig samtiger Mitte und lichter Höhe in der Kopfstimme, ist famos farbenreich. Ohnehin eine Tour de Force, die das junge Ensemblemitglied der Oper Frankfurt als veritables Psychodrama an der Rampe entfaltet.
Die Natalie von Magdalena Hinterdobler ist eine weibliche Urkraft, die nicht um das Leben ihres geliebten Prinzen beim Kurfürsten bittet und bettelt, sondern mit Walkürenstimme einfordert, was ihr zusteht. Und doch dreht sie sich als einzige im Schlussbild noch einmal zu ihrem träumend daliegenden Prinzen um.
Mit Annette Schönmüller als patriarchentreuer Kurfürstin liefert sie sich einen bebenden Showdown. Die übrigen ergeben eine perfekt abgestimmte Familie: Da sitzt jede Stimme, vorbildlich für eine Ensembleoper, die größtmögliche Homogenität verlangt.
Hand in Hand von Graben und Szene
Die Abstimmung zwischen Graben und Szene ist perfekt. Jens Daniel Herzog inszeniert ganz aus dem Geist der Musik, die Takeshi Moriuchi am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit großer Präzision herausfeilt. Das scharfe Blech und die satten Holzbläser in ihrer rhythmischen Akzentuierung lassen Igor Strawinsky, den Widmungsträger der Partitur, klar hervortreten.
Großartig realisiert ist die katzenhafte, kammermusikalisch bis zu Solostimmen realisierte Begleitung. Ein Spiel der ausgefahrenen und wieder eingezogenen Krallen. Moriuchi realisiert eine mustergültige Wiedergabe von Henzes Vokalsinfonie als Traumprotokoll. Es ist ein homogen stimmiger Abend, an dem Musik und Szene perfekt Hand in Hand gehen.
Wer eine kritische Auseinandersetzung mit unserer kriegerisch geladenen Gegenwart erwartet, wird in Frankfurt sicher enttäuscht. Aber er kann hier träumen. Das ist auch nicht verkehrt in Zeiten der realen Alpträume.
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