Shakespeares letztes Theaterstück „Der Sturm, mein Lieblingswetter“ versammelt zentrale Themen der Gegenwart. Vor allem aber entwirft es eine Welt an der Grenze zwischen Traum und Realität. In ihrer Bearbeitung für das Badische Staatstheater siedelt Ariane Koch das Stück in einer weiblich dominierten Gesellschaft an.
Eigentlich hatte das Badische Staatstheater die Theaterautorin Ariane Koch lediglich gebeten, eine neue Übersetzung von William Shakespeares „Sturm“ zu erarbeiten – herausgekommen ist eine modernisierte Fassung dieses romantischen Dramas.
Altes Stück, neu aufgearbeitet
Shakespeares grundlegende Fragen nach Macht und Unterdrückung, Rache und Vergebung sind geblieben – aber es wurden auch neue Themen wie Massentourismus und Klimawandel in das „Zauberlustspiel“ eingefügt und die wichtigsten Figuren des Stücks wurden weiblich besetzt.
Mühsam klammern sich die Kapitänin und ihre illustren Passagiere an der Reling fest. Eigentlich wollte die Queen mit ihrer Entourage auf ihrer Luxus-Yacht Party machen, doch ein mächtiger Sturm treibt sie auf eine Insel zu.
Prosperunda verbittert und rachsüchtig
Kein Zufall! Denn auf der Insel lebt Prosperunda, die ihre Zauberkräfte bemüht und ihren treuen Diener, den Luftgeist Ariel losgeschickt hat.
Prosperunda will Rache an der Queen und ihrer Clique üben. Denn die haben sie vor vielen Jahren entmachtet und aus dem Land gejagt. Prosperunda stapft mit Stiefeln und Nietengürtel über die verhasste Insel. Sie ist verbittert und herrschsüchtig.
Prosperundas Sohn will sich nicht bevormunden lassen
Doch langsam entgleitet ihr die Macht über die anderen: ihr pubertierender Sohn, der es satt hat, von ihr bevormundet zu werden, verliebt sich in die gestrandete Tochter der Queen und möchte auf der Insel mit ihr ökologischen Weinbau betreiben.
Anspielungen auf Kolonialzeit schon bei bei Shakespeare
Der Luftgeist Ariel will nach vielen Jahren treuer Dienste endlich frei sein und die Ureinwohnerin der Insel, Canibalé, begehrt ebenfalls auf und fordert die Herrschaft über ihre Insel zurück.
Immer wieder tauchen in der Neufassung von Ariane Koch Anspielungen auf Kolonialherrschaft und Ausbeutung auf. Die waren jedoch bereits bei Shakespeare angelegt – denn als sein Drama 1611 uraufgeführt wurde, war England bereits auf dem Weg zur Kolonialmacht.
Alte weiße Frauen, statt alter weißer Männer
Dass die Ureinwohnerin Canibalé allerdings vorhat, aus ihrer Insel ein Ziel für Massentourismus zu machen, ist eine Idee der Neufassung von Ariane Koch. Dass die Autorin die Hauptfiguren aus Shakespeares „Sturm“ weiblich besetzt, ist dagegen nicht neu.
Man denke nur an die Verfilmung mit Helen Mirren als Prospera. Es ändert an der Handlung eigentlich auch nichts. Statt alter weißer Männer, sind es eben alte weiße Frauen, die nur an sich selbst und ihren Machterhalt denken. So schwärmt Prosperunda ihrem Sohn von ihrem früheren Leben und ihren Privilegien vor.
Spiel um Zauberei, Traum und Wirklichkeit
Die Regisseurin Simone Blattner versetzt das Geschehen in eine märchenhafte Szenerie, aus der die Schauspielerinnen allerdings immer wieder links und rechts der Bühne heraustreten, so dass das Spiel um Zauberei, Traum und Wirklichkeit jederzeit sichtbar bleibt.
Humor kommt nicht bei allen an
Die zahlreichen komödiantischen Stellen kosten die Schauspielerinnen voll aus. Aber der Humor will nicht so recht zünden und so bleibt es im Zuschauerraum ziemlich still. Als Prosperunda am Ende Frieden mit ihren Widersacherinnen schließt und mit ihnen zurück aufs Festland will, schlägt allerdings die Natur zurück und ein Sturm, den diesmal niemand bestellt hat, fegt auf die Insel zu.
In Zeiten des Klimawandels haben Stürme eben eine ganz neue Dimension. Vielleicht wäre es deswegen auch angebracht, statt Neufassungen von Klassikern, die mühsam versuchen, ihnen aktuelle Themen einzuschreiben, ganz neue, wirklich zeitgenössische Stücke in Auftrag zu geben.
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