„Die Fledermaus“ von Johann Strauss gilt als großartiger Silvesterspaß mit Champagner, Verwechslungskomödie und frivolen Anspielungen. Hinter der scheinbar harmlosen Walzerseligkeit steckt aber auch eine auf Hinterhältigkeit basierende Feierlaune der Bourgeoisie. Das Badische Staatstheater hat die Operette mit einer Neuinszenierung von Tobias Ribitzki neu befragt.
„Ornament und Verbrechen“ betitelte der Wiener Architekt Adolf Loos seine gegen den Ausstattungsstuck der Gründerzeit gerichtete Schrift. Das Ornament als ein Verbrechen gegen die Ehe begegnet einem in Johann Strauss aus dieser Zeit stammenden Operette „Die Fledermaus“ am Badischen Staatstheater.
Der Kasten einer Bühne auf der Bühne wird von einem moosgrünen Vorhang mit Fächerornamenten verdeckt. Aufgezogen gibt er das gleiche Tapetenmuster wieder, das sich dann auf dem Sofabezug und im Morgenmantel von Gabriel Eisenstein fortsetzt.
Seine Frau Rosalinde trägt braunes Karomuster. Das Kleid als Gefängnisgitter ihres Körpers. Und so sitzen die beiden ziemlich verhockt auf der Sitzgelegenheit, sie schmollend in der einen Ecke, er zeitungslesend in der anderen. Diese Ehe ist kaputt. Kein Wunder also, dass beide zum Champagnergelage beim Prinzen Orlofsky in Maskerade dieser Tristesse entfliehen.
Optisch schöne Sektknallorgie
Die sektkorkenknallende Orgie ist die Intrige von Doktor Falke. Damit will er sich für die einstige Demütigung durch Eisenstein rächen. Der hat einmal den sturzbesoffenen Freund im Fledermauskostüm auf der Parkbank dem Gespött der Leute überlassen, was vor der Ouvertüre zu sehen ist. Eisenstein wird als Hahnrei entlarvt, der der eigenen Gattin hinterher scharwenzelt und ihre Maskerade als ungarische Csárdás-Fürstin nicht durchschaut.
Am Ende landen alle im Gefängnis. Dort findet sich Eisenstein ein, um seine achttägige Haftstrafe wegen Beamtenbeleidigung abzusitzen. In Karlsruhe ist das immer noch der Glitzervorhang des Ballfests, in das beim Katzenjammer der riesige Kronleuchter abgestürzt ist.
Aus der Zerstörung einer Ehe gibt es kein Entkommen. Nur der von Armin Kolarczyk sehr nobel gesungene Falke hat seine Rache bekommen, die ihn doch auch nicht beglückter zurücklässt. Dank der Ausstattung von Stefan Rieckhoff ist das alles schön anzuschauen.
Von allem etwas, aber vor allem zu wenig
„Die Fledermaus“ kann man als surrealen Slapstick mit Klamauk, als böse Abrechnung mit der bürgerlichen Scheinheiligkeit oder als walzernde Melancholie in Szene setzen. Die Inszenierung von Tobias Ribitzki bietet von allem etwas.
Das Tür-auf, Tür-zu-Spiel der Boulevardkomödie ist zwar da, es ist aber nicht irre genug. Rosalindes Liebhaber Alfred als tenorales Stehlampenmobiliar ist ein hübscher Gag. Letztlich bleibt die Regie aber unentschlossen, was das Stück denn nun eigentlich sein soll.
Manches wuchert dann aus in der neuen Textfassung, wie der hinzuerfundene Gesangswettstreit zwischen Eisenstein und Frank als maskierte Adlige aus Frankreich mit Melodien aus bekannten französischen Opern des 19. Jahrhunderts. Dass der skurrile Gefängnisschließer Frosch hier eine Art Conférencier-Hotelpage ist und altbekannte Froschwitze erzählt, dehnt den manchmal bemühten Humor.
Zahnloses Dirigat, dafür grandiose Adele
Der musikalischen Leitung von Leo Siberski fehlt es dann wiederum an Biss. Die spritzige Ouvertüre kommt schon sehr behaglich daher und erst spät wird das Walzern zum mechanischen Durchdrehen dieser irrsinnigen Maskerade.
Ina Schlingensiepen singt die Rosalinde schön, wird aber oft vom Orchester zugedeckt. Eisenstein ist bei Matthias Wohlbrecht ein Erzkomödiant. Florence Losseau spielt und singt den Ennui des Vergnügungskönigs Orlofsky perfekt.
Grandios ist die Koloraturakrobatik von Martha Eason als ins Frivole ausbüchsende Kammerjungfer Adele. Es ist durchaus ein vergnüglicher Abend, wenngleich auch etwas harmlos.
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