Disneys Bombast-Musical feiert in Stuttgart Premiere
Es ist der Moment, dem das ganze Publikum entgegenfiebert: Elsa, die frisch gekrönte Königin von Arendelle, muss aus ihrem Reich fliehen. Was niemand weiß: Elsa hat magische Kräfte und kann Schnee und Eis heraufbeschwören. Ein Gefühlsausbruch hat sie enttarnt.
Befreit von aller Geheimniskrämerei, singt sie inmitten eines Schneegestöbers: „Ich lass los, lass jetzt los.“ Dabei legt sie Krönungspurpur und Krone ab und steht schlussendlich in einem mit funkelnden Eiskristallen übersäten Kleid inmitten des leuchtenden Eispalastes, den sie mithilfe ihrer eigenen Zauberkraft erschaffen hat.
Der Animationsfilm „Die Eiskönigin“ aus dem Jahr 2013 brachte Disney nicht nur den Oscar als bester Animationsfilm, sondern auch den Preis für den besten Filmsong für eben jenes „Lass jetzt los“ (Englisch: „Let It Go“). Bis heute gehört er zu den erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. In der Musicalfassung ertönt Elsas Powerballade zum Finale des ersten Aktes mit einer Fontäne aus Lichteffekten, Bühnentricks und einem gekonnt choreografierten Kostümwechsel. Bombastisch wird das Publikum in die Pause entlassen.
Disneys Musicals sind weltweit sehr präsent
Dass Disney einer der Big Player im Musical-Business ist, ist nicht neu. Stücke nach Disney-Filmen laufen erfolgreich am Broadway, im Londoner Westend und nicht zuletzt auch in Deutschland. Neben der „Eiskönigin“ bespielt Deutschlands größter Musical-Anbieter Stage Entertainment mit „Tarzan“ in Stuttgart und „Der König der Löwen“ und „Hercules“ in Hamburg mehr als die Hälfte seiner Spielstätten mit Disney-Produktionen.
Der Schritt auf die Musicalbühne war für den Konzern dabei ein sehr naheliegender: Als das Studio Mitte der 1980er-Jahre kurz vor der Schließung seiner Zeichentrick-Sparte stand, sorgte der Film „Arielle, die Meerjungfrau“ für einen großen Erfolgsschub, der heute als „Disney-Renaissance“ bekannt ist.
In Rückbesinnung auf alte Märchenverfilmungen wie „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ und „Cinderella“ entschieden sich die Verantwortlichen, kreative Unterstützung am Broadway zu suchen. Sie verpflichteten das Texter-Komponisten-Duo Howard Ashman und Alan Menken, die mit „Der kleine Horrorladen“ einen großen Überraschungshit gelandet hatten und deren Arbeit emblematisch für eine neue Generation von Broadway-Stücken gilt.
Musical-Autor fand die Erfolgsformel für die Disney-Renaissance
Vor allem Howard Ashmans Einfluss ist es zu verdanken, dass die Filme der frühen 1990er-Jahre schon in ihrer Grundstruktur als Broadway-Musicals angelegt sind: Songs fungieren grundsätzlich als Motor der Handlung, vertiefen emotionale Schlüsselmomente oder dienen der Verankerung der Hauptfiguren. Dadurch sind sie untrennbar mit der Handlung verknüpft.
1994 feierte das erste Disney-Musical mit „Die Schöne und das Biest“ am Broadway Premiere, wo es 13 Jahre lief. 1997 folgte „Der König der Löwen“ in einer Inszenierung von Julie Taymor, die bis heute bühnenästhetisch Maßstäbse setzt. Die legendäre Produktion läuft nach wie vor erfolgreich am Broadway und im Hamburger Hafen. Auch außerhalb seiner Filmtitel positionierte sich Disney mit Stücken wie „Aida“ (von Elton John und Tim Rice) oder, weniger erfolgreich, mit „King David“ (von Alan Menken und Tim Rice).
Gefangen im ewigen Kreis der Nostalgie
Eine vergleichbare künstlerische Qualität haben aktuellere Musicals aus dem Hause Disney leider nur noch selten. Vielmehr sind sie, sehr deutlich spürbar und genauso wie die Realverfilmungen der vergangenen Jahre, teuer produzierte Zweit- und Drittverwertungen der liebgewordenen Songs und Figuren, die dem kaufkräftigen Publikum immer wieder in neuer Version angepriesen werden.
Nicht anders „Die Eiskönigin“: Die Musik aus der Feder von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez überzeugt auf der Bühne genauso wie schon im Film, auch Bühnenbild und Kostüm bieten einiges an Schauwert, doch eine wirkliche Ergriffenheit bleibt aus. Es fühlt sich an wie kulturelles Fastfood, als das Musicals landläufig gerne verschrien sind. Ob das die satten Ticketpreise wert ist, gerade für einen Familienausflug, sollte man sich zweimal überlegen.
Dabei gibt es es doch: Das Musical als veritable Bühnenkunst. Hier bieten die öffentlich getragenen Theaterhäuser aber bei Weitem die interessanteren Stücke und Inszenierungen. Aktuelles Beispiel: Vor Kurzem feierte am Theater Basel eine beachtenswerte Inszenierung von Stephen Sondheims Musical-Klassiker „Into the Woods“ seine Premiere als klug ausdifferenziertes Märchen-Psychogramm. Ein Titel, den Disney 2014 mit großem Pomp und Star-Besetzung verfilmt hat.