„Idomeneo“ ist Mozarts erste vollgültige Oper. Sie wird inmitten der viel beschworenen Zeitenwende von Regisseur Bastian Kraft an der Staatsoper Stuttgart neu befragt, mit eher enttäuschenden Ergebnissen.
Mehrdeutiger Schatten
„Vor mir sehe ich den gequälten Schatten bei Tag und Nacht.“ Das singt Idomeneo in Wolfgang Amadeus Mozarts gleichnamiger Oper an der Staatsoper Stuttgart, natürlich in italienischer Sprache.
Der Schatten kann vieles sein: zunächst Idomeneo selbst, der den eigenen Sohn Idamante opfern soll als Preis für die sichere Landung auf Kreta. Er kann der Sohn sein, in seiner Todesangst – oder das Schuldbewusstsein, das Kind für den Machterhalt schlachten zu müssen.
SWR Kultur zu Gast an der Staatsoper Stuttgart
Schattenspiele als Teil der Inszenierung
Regisseur Bastian Kraft nimmt diese zwiespältige Mehrdeutigkeit zum Anlass für Schattenspiele. So steht ein nach vorne offener Bühnenkasten aus Spiegeln auf der Bühne von Peter Baur – ein Spielkasten. Auf der Bühnenrampe sind zwei Lichtblenden, die scharf konturierte Schatten auf die Fläche werfen.
Befinden sich die Figuren im Vordergrund, entstehen Schattenabbilder von titanischer Größe. Gehen sie in den Hintergrund, schrumpfen sie zu menschlicher, puppenspielartiger Größe und Handbarkeit. Und dann kommen noch die fiktiven Schatten als Videoprojektionen hinzu. Da können die Schatten dann mit sich selbst in Verdoppelung agieren.
Schön anzusehen
Es sind dann auch mal die beschworenen Götter im nebligen Hintergrund zu sehen oder die adressierten, aber nicht anwesenden Anderen. Das ist technisch raffiniert, perfekt koordiniert und schön anzusehen.
Man denkt an die Scherenschnittfilme von Lotte Reiniger und ihre Figuren, die als Schatten agieren. Auch sie hatte sich Opern von Mozart vorgenommen, allerdings nicht den frühen „Idomeneo“.
Pionierin des Trickfilms 125 Jahre Lotte Reiniger: Als die Schattenfiguren laufen lernten
Lotte Reiniger schrieb in den 1920er-Jahren als erste Animationskünstlerin Deutschlands Filmgeschichte. Ihre Filme wie „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ verzaubern noch heute.
Schattenrisse mit klassischem Profil
Im Bühnenmittelgrund ist eine Wasserfläche. Im Spiegel erzeugt die Bewegung der agierenden Sängerinnen und Sänger ein wellenbewegtes, sich ausbreitendes Pulsieren, ein Schweben und Wabern des luftigen Hintergrunds.
Die Schattenrisse haben klassisches Profil. Das liegt an den in antike Bögen gelegtem Haar der gefangen genommenen trojanischen Prinzessin Ilia. Oder an der monumentalen Haarkrone der griechischen Königstocher Elettra, die Idomeneos Sohn für sich haben will und die eifersüchtig ist auf Ilia, in die Idamante verliebt ist.
Inhaltliches bleibt unterbeleuchtet
Diese Konflikte gehen allerdings unter in einer Regie, die sich ganz dem schönen Bild verschrieben hat. Das hat fast etwas Sedierendes. Dass da auch eine Psychologie brodelt, bleibt erstaunlich unterbeleuchtet in einem Drama, das vor allem aus Licht und Schatten besteht.
Der Generalkonflikt in Mozarts Oper, den man mit dem Dichter Thomas Brasch zur existenziellen Formel „Vor den Vätern sterben die Söhne“ bringen möchte, bleibt hier als zeitgenössische Ausdeutungsmöglichkeit erstaunlich ausgespart. Obwohl das eigentlich das radikale Potential von Mozarts frühem Opernerfolg ausmacht: die Ablösung väterlicher Macht durch den Sohn im archaisch-mythischen Gewand.
Das antike Format wird hier nicht nur zum Schattenspiel, die Figuren werden zu Skulpturen ihrer selbst, wenn sie bewegungslos an der Rampe konzertante Musik betreiben.
Stuttgarter Insider-Gag nicht zum Lachen
Das vom Meeresgott zur Strafe entsandte Meeresungeheuer – aufgrund des versprochenen und dann verweigerten Rettungsopfers – entpuppt sich als vom Bühnenhimmel herabschwebendes Modell des vom (realen)Tornado verwüsteten Kupferdachs der Staatsoper.
Das ist ein Stuttgarter Insidergag, bei dem nun niemand mehr lacht. Es gab ihn davor schon einmal in der Aufführung von Brecht/Weills „Mahagonny“ in Stuttgart. Witze soll man nicht wiederholen.
Titelpartie mit Schwächen
Am Ende der Machtübergabe steht Idomeneo vor dem Kreisrund der untergehenden Sonne im Abendrot. Er ist eine Schattensilhouette seiner selbst und so singt Jeremy Ovenden die Titelpartie auch. Eine enge Stimme, der das Herrschaftliche nun wahrlich abgeht. Dazu mit falschen Tönen in den Koloraturen.
Musikalisch ist die Aufführung ansonsten zugespitzt eindeutiger. Cornelius Meister dirigiert am Pult des Staatsorchesters einen leidenschaftlich-expressiven Mozart und durchleuchtet die klangfarblichen Feinheiten von Mozarts erster großer Opernpartitur.
Da perlen die Pizzicati wie Edelsteine, die Holzbläser schimmern, die Posaune klingt als Bläserglocke für die Verkündigung des Orakels. Der Staatsopernchor ist in Bestform.
Diana Haller als furiose Elettra
Es ist ein Fest der Frauenstimmen. Diana Haller ist dabei das Ereignis des Abends: eine furiose Elettra, leidenschaftlich mit messerscharfer Höhe, immer empathisch und doch entfesselt.
Idamante singt Anett Fritsch mit königlicher Nobelesse, warm timbriert. Lavinia Bini in der Partie der Ilia ist machtvoll, aber auch etwas undifferenziert. Sie steht für die Zerrissenheit einer Kriegsgefangenen, die sich in den Sohn des Feindes verliebt.
In musikalischer Hinsicht überzeugt der Abend weitaus mehr als szenisch. Das Schattenspiel bleibt dann doch etwas hinter den konzeptionellen Erwartungen zurück. Schöne Bilder zu schöner Musik befördern doch allzu sehr ein gewisses Mozart-Klischee, das man eigentlich überwunden glaubt.
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