Wie sah Zensur zu DDR-Zeiten aus? Und was können Kultur und Gesellschaft aus Erfahrungen von damals lernen, um sich zukünftig vor Repressalien zu schützen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Stuttgarter Theaterkollektiv Citizen Kane in seinem Stück „Weiße Elefanten - Kein Leben, ein Traum“ am Kammertheater Stuttgart.
Überall sind fremde Augen und Ohren
Ein Metronom gibt den Takt vor. Auf der Bühne – wie eingesperrt hinter Bauzäunen - schält sich eine Frau mit futuristischer Turmfrisur aus einer Art Zwangsjacke aus bröckelndem Gips und beginnt, die Zäune beiseitezuräumen
Das Stück „Weiße Elefanten“ erzählt von den Proben einer Theatertruppe in der Zukunft. Die Regisseurin – die Frau mit der unpraktischen Turmfrisur - kann aber nicht frei entscheiden, immer wieder schaltet sich der Theaterleiter ein.
Überall sind fremde Augen und Ohren – die Regisseurin steht unter Beobachtung. Die Zensur ist subtil und zum Teil quälend, sagt Hauptdarstellerin Lisa Heinrici über ihre Rolle.
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Das Theater gilt als Stätte freier Meinungsäußerung und gerät immer wieder in Konflikt mit Machtstrukturen. Ein Stuttgarter Theaterfestival thematisiert nun Zensur auf der Bühne.
Proben eines Stücks von Heiner Müller in der DDR
Das Stück wirkt auf den ersten Blick eher abstrakt – aber das Citizen.KANE.Kollektiv greift dabei auf eine wahre Geschichte zurück, über die es bei der aufwendigen Recherche zum Thema Zensur in der DDR gestolpert ist: Die einer ostdeutschen Regisseurin, die einen Text von Heiner Müller auf die Bühne bringen wollte, in dem historische Situationen untersucht werden, in denen die Existenz des Sozialismus bedroht war.
Die Inszenierung von Heiner Müllers „Wolokolamsker Chaussee“ 1988 in Leipzig kam bis zur Generalprobe und wurde dann verboten, wie Kollektiv-Mitglied Christian Müller erzählt: „Wir haben aus der Geschichte von Cornelia Schwab unsere Geschichte herausgefiltert und das dann in die Zukunft transferiert.“
Die genauen Gründe, warum die Aufführung der Inszenierung von Heiner Müllers Stück damals nicht zugelassen wurde, liegen bis heute im Dunkeln. Vermutlich war Schwab dem System nicht „konform“ genug.
Kritische Aussagen werden am „weißen Elefanten“ vorbeigeschmuggelt
Weiße Elefanten – sie sind eine Metapher für kritische Aussagen, die so in Texten platziert sind, dass sie die Aufmerksamkeit der Zensur auf sich ziehen und von anderen subversiven Aussagen ablenken. Um diese sozusagen am weißen Elefanten vorbei, auf die Bühne zu schmuggeln.
Neben der Performance, die aus den Recherchen in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig und der Universität in Bukarest entstanden ist, hat das Kollektiv auch eine Ausstellung zu dem Thema konzipiert. Bei der mehrmonatigen Vorbereitung fiel dem Kollektiv vor allem auf – Zensur beginnt im Kleinen.
„Die sogenannte Schere im Kopf – dass man anfängt, sich selbst zu zensieren, das ist auf jeden Fall ein Moment, in dem das vielleicht schon losgeht“, sagt Maximilian Sprenger vom Citizen.KANE.Kollektiv.
Oft wurde vorgeschoben, das Stück sei nicht gut genug – gängige Praxis in der ehemaligen DDR. Die politischen Gründe für die Zensur wurden nicht direkt thematisiert.
Welche Gruppen fühlen sich heute schon zensiert?
Das Kollektiv geht mit seinem Stück auch der Frage nach, welche Gruppen sich auch heute schon zensiert fühlen, zum Beispiel weil man ihnen aus fadenscheinigen Gründen keine Auftrittsmöglichkeit gibt.
Das Citizen.KANE.Kollektiv packt seine Botschaft in ein humorvolles Programm, wie immer mit viel Musik. Es geht bei der Performance allerdings nicht nur um Vergangenheitsbewältigung – die Gefahr, dass Zensur auf der Bühne wieder ein Thema wird, ist aktueller denn je, meint Simon Kubat und wünscht sich: „Ich mag Ambivalenz – deswegen dürfen die Menschen gerne mit einem Gefühl von „Sich unterhalten fühlen“ rausgehen und einer Verunsicherung. Das ist so eine Verunsicherung, die im besten Fall nicht in eine Lethargie umschlägt, sondern in eine Wachsamkeit.“
Bleibt die Frage, wann auch im gemeinsamen Deutschland Weiße Elefanten über die Theaterbühnen trampeln könnten.
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