Standing Ovations zur Premiere

Sternstunde am Theater Ulm – Giuseppe Verdis Oper „Otello“

Stand
Autor/in
Bernd Künzig
Das Interview führte
Wilm Hüffer
Interview mit
Bernd Künzig

Zu den späten Meisterwerken Giuseppe Verdis zählt seine vorletzte Oper „Otello“ mit einem auch literarisch vollendeten Libretto von Arrigo Boito nach Shakespeare. Die Titelpartie ist extrem anspruchsvoll, genauso die Rollen Jago und Desdemona. Das Theater Ulm hat sich jetzt mit Regisseur Christian Poewe und dem Generalmusikdirektor Felix Bender der künstlerisch-musikalischen Problemlage gestellt.

Dieser Sturm tobt nur außen. Was gut ist, denn man möchte ihn nicht wirklich erleben. Dazu lässt es das Philharmonische Orchester Ulm zu Beginn von Giuseppe Verdis „Otello“ ordentlich und partiturgerecht krachen, blitzen und donnern. Es ist ein kosmischer, apokalyptischer Sturm, der jeden Lebensraum wegfegt. ´

Die Menschen haben sich in einen Schutzraum zurückgezogen, ein nur noch von Neonlicht erleuchteter Betonraum zwischen Bunker und Kuppelkirche. In diesem von Tanja Hoffmann gestalteten Raum überlebt die Menschheit irgendwie und wartet auf ihren neuen Hoffnungsträger.

Otello tritt dann auch mit einem strahlenden „Esultate“ auf und schwingt sich gleich am Anfang mühelos aufs kräftezehrende hohe A hinauf. Rodrigo Porras Garulo ist eine Idealbesetzung: baritonal gestützt in der unteren Lage und mit heldenhafter blitzsauberer Höhe gesegnet. Dazu noch psychologisch vertieft, ein Bild von einem Mann und Tenor, der weiß was er singt.

Verdis "Otello" am Theater Ulm: Otello (Rodrigo Porras Garulo) umarmt Desdemona (Maryna Zubko). Im Hintergund: Lodovico (Cornelius Burger), Jago (Dae-Hee Shin), Cassio (Markus Francke)
Otello (Rodrigo Porras Garulo) kehrt mit seinen Truppen aus den Türkenkriegen nach Venedig und zu seiner geliebten Desdemona (Maryna Zubko) zurück. Alle feiern, nur nicht Jago (Dae-Hee Shin), an dessen Stelle Cassio (Markus Francke) zum Hauptmann befördert wurde.

Jago als Elementarkraft jenseits von Gut und Böse

Christian Poewe sperrt in seiner Inszenierung den Menschen in einen Innenraum und wirft ihn damit auf seine innere Natur zurück. Genau die nutzt der in der Rangfolge übergangene Jago. Das ist kein Schurke, sondern ein Borsalino tragender Intellektueller. Kein Bösewicht, kein kleinlicher Neidhammel, sondern die körpergewordene Elementarkraft, die stets das Böse will und Böse schafft, jenseits von Gut und Böse.

So haben ihn Verdi und sein genialer Librettist Arrigo Boito angelegt, ohne Nietzsche gelesen zu haben. Und Christian Poewe ist sich dessen bewusst und legt den Jago schnörkellos und treffsicher so an. Sein Zeichen ist die runde Brille, mit der er gestisch sein Glaubensbekenntnis an den Nihilismus im zweiten Akt mit baritonaler Inbrunst zelebriert und doziert. Der Gelehrte des reinen Bösen.

Dae-Hee Shin singt diesen vollendeten Apokalyptiker und Zerstörer als Exitenzprinzip mit Samt in der Stimme und fährt gleichzeitig sein stimmscharfes Messer aus. Und er packt Otello an seiner Schwäche und gleichzeitigen Stärke.

Verdis Oper "Otello" am Theater Ulm: Otello (Rodrigo Porras Garulo) versucht, Cassio (Markus Francke) und Montano (Martin Gäbler) vom Kampf abzuhalten.
Jago bricht einen Streit zwischen Cassio (Markus Francke, Mitte) und Montano (Martin Gäbler, rechts) vom Zaun. Otello (Rodrigo Porras Garulo, links) muss einschreiten und degradiert seinen frisch gekürten Hauptmann.

Brillant inszenierte Architektur eines Seelenraums

Hier ist Otello nicht mehr der mit einem Minderwertigkeitskomplex behaftete Schwarze, sondern einer, der sich in einer Gewaltnatur nur mit Gewalt durchsetzen kann und bislang durchgesetzt hat. Genau auf die setzt Jago mit seiner Intrige, setzt sie frei, hetzt Otello mit der entfachten Eifersucht zu seinem animalischen Verhalten auf und zum Mord an Desdemona.

Es kommt der Fall. Buchstäblich treibt Jago ihn in die Enge und vor die Wand, die aus dem Seitengang wie von magischer Hand herausfährt, Otello an die Kante des Orchestergrabens zwängt. Er ist vor dem Abgrund, auf des Messer Schneide. Das ist eine brillant inszenierte und ebenso perfekt ausgeleuchtete Architektur eines Seelenraums. Er öffnet sich zur Vernichtung des Menschen, zum Mord an Desdemona.

Desdemona ist bei Maryna Zubko kein hilfloses, reines Engelswesen, sondern eine kämpferische Frau, die sich hingebungsvoll der rettenden Natur im Gewächshaus hingibt und bedingungslos leidenschaftlich für ihre Liebe kämpft. Da steckt auch vokal eine gewaltige Portion Rebellion in ihr gegen die irrationale Gewalt, die Jago in Otello gegen sie ausgelöst hat.

Poewe arbeitet den existentialistischen Kern der Oper heraus

Es ist eine intelligente, bildmächtige Inszenierung, die den existentialistischen Kern der Oper herausstellt. Am Ende stirbt Otello nicht durch Selbstmord, seine Schuld erkennend. Selbst das Messer wird ihm vom hübsch-ehrgeizigen, aber unsicheren, schön von Markus Francke gesungenen Cassio weggenommen.

Er verendet, auf den stummen Chor im Hintergrund zu kriechend als elende Kreatur und Kreatur im Elend. Da ist er am Nullpunkt seiner Natur angelangt. Pessimistischer und schwärzer, zugleich aber auch schmerzhaft wahrhaftiger ist das Ende dieser ohnehin rabenschwarzen Oper selten auf die Bühne gebracht worden.

Verdis Oper "Otello" am Theater Ulm: Dae-Hee Shin, Markus Francke, Maryna Zubko
Jago (Dae-Hee Shin) überredet Cassio (Markus Francke), bei Desdemona (Maryna Zubko) um Fürsprache bei Otello zu bitten. So schürt er dessen Eifersucht, die schließlich in einem Blutbad enden soll.

Eine Sternstunde am Theater Ulm

Und dann ist da noch eine andere große Liebesbeziehung am Werk. Es ist die des Philharmonischen Orchesters zu seinem Generalmusikdirektor Felix Bender. Was dieser an klangsinnlicher Subtilität aus Verdis herben Farben, der teils kammermusikalisch gefügten Partitur herausholt und -hört ist grandios. Die Musikerinnen und Musiker im Graben folgen ihm hingebungsvoll.

Hinzu kommt ein fabelhaft klarer Chor auf der Bühne. Das komplex geschichtete, mehrere Handlungsebenen in sich vereinende Concertato des dritten Aktfinales hat man kaum jemals so klar, präzise und verständlich gehört.

Das alles ist eine enorme Leistung eines Hauses, seines Ensembles, von Chor und Orchester, das mit vielen Produktionen in jüngster Zeit mit Repertoirestücken, zeitgenössischem Musiktheater und Uraufführungen von verschütteten Werken zu einem der bemerkenswertesten Opernhäuser zu zählen ist.

Verdis Meisterwerk „Otello“ erlebt am Theater Ulm eine Sternstunde. Das Publikum hält es nicht auf den Stühlen und reißt es unmittelbar zu Standing Ovations hin. Hier einmal absolut berechtigt.

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