Die letzte große szenische Neuproduktion der Salzburger Festspiele 2024 stellt Jacques Offenbachs unvollendete letzte Oper „Les Contes d’Hoffmann / Hoffmanns Erzählungen“ auf die Bühne des Großen Festspielhaus. Das Opernfragment ist in den letzten Jahrzehnten durch immer wieder aufgetauchte Manuskriptseiten aus dem Nachlass Offenbachs zu einer geradezu epischen Länge angewachsen. Inszeniert hat in Salzburg die gefragte Nachwuchsregisseurin Mariame Clément, die musikalische Leitung hat Marc Minkowski als Spezialist historisch-informierter Aufführungspraxis übernommen. Die Titelrolle verkörpert der französische Startenor Benjamin Bernheim.
Der Dichter wird zum Filmregisseur
Stellen wir uns den Dichter in Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ in unserer medialen Gegenwart vor. Dann wären seine Geschichten wohl Filme und er sein eigener Regisseur. Das ist die Idee von Mariame Cléments Regiekonzept bei den Salzburger Festspielen.
An sich zunächst einmal keine schlechte, ist der Gespenster-Hoffmann doch ein Vorbild für die „dämonische Leinwand“ der Stummfilmära geworden. Einer Filmcrew im Studio schildert der mittlerweile zum Alkoholiker verkommene Hoffmann in Rückblenden seine Filmerlebnisse, die Suche nach der idealen Frau und sein Scheitern. In seinem filmischen Debüt ist Olympia eine Barbarella, die ihm eine runterhaut, als er ihr an die Wäsche will.
Leider schleicht sich ein hoffmaneskes Missgeschick nach dem anderen ein
Im folgenden romantischen Schauerdrama ist Antonia die von Vater und Regisseur verhinderte Sängerin. Ihren Filmkünstler lässt sie kurzerhand für den Stimmtrainer sitzen. Hoffmann landet mit Herzinfarkt in seinem ultimativen Alptraum. Giulietta vernichtet ihn als großkünstlerische Kindfrau endgültig mit Hilfe des Produzenten als Leibhaftigem mit Teufelsschwanz. Es muss dann doch die als Assistent Nicklausse verkleidete Muse sein, die ihn dann wieder an den Schreibtisch bringt für sein nächstes Szenario.
So weit so gut, würde sich jetzt nicht in die Inszenierung ein „hoffmanneskes“ Missgeschick nach dem anderen einschleichen. Die Film-im-Film-Dreharbeiten im aufwändig gestalteten Filmset von Julia Hansen geraten recht unübersichtlich. Das künstlerische Leiden Hoffmanns wird so nicht greifbar. Als existentielles Problem landet es dann im Durcheinander eines delirierenden Säufers.
Das tollste Bild verliert sich in einer vorbeiziehenden Zombiemeute
Betroffen macht einen das nicht, selbst wenn Benjamin Bernheim in der Titelpartie versucht, herzergreifend mit verletztem lyrischem Schmelz zu singen. Wenn er im Venedig-Akt sein Spiegelbild verliert, dann verschwindet sein Filmbild auf der weißen Leinwand, der Tabula rasa. Das ist das tollste Bild, das sich aber im Hin und Her einer vorbeiziehenden Zombiemeute verliert.
Bedauerlich ist das, weil es auch auf Kosten der Leistung von Kathryn Lewek geht. Sie bewältigt die drei rasend schwierigen und höchst unterschiedlichen Rollen der Olympia mit ihren Koloraturen, die hochdramatische Antonia und die dämonische Giulietta grandios. Leider erfahren wir nicht, wer dieser Hoffmann und seine Begehrten nun sind.
Zähl und langatmig ist auch das Dirigat
Es ist ein Scheitern auf durchaus hohem Niveau einer nicht unintelligenten Konzeption. Aber es ist zäh und langatmig. Und das liegt nicht allein an der Regisseurin, sondern auch am Dirigenten Marc Minkowski. Sein uninspiriertes, sich dahinschleppendes Dirigat von über drei Stunden Länge macht aus den Wiener Philharmonikern eine zähe Kapelle. Keinerlei Esprit, kein Charme, kein Sprühen und Blitzen, das Offenbachs melodisches Füllhorn für gewöhnlich ausschüttet.
Die mittlerweile auch monströs angewachsene Rekonstruktion von Offenbachs Fragment wird zu einem Desaster, bei dem man sicher sein kann, hier hätte der Komponist im Sinne der Dramatik gekürzt und redigiert.
Da hilft nur, sich mit einem kräftigen Punsch zu betrinken
Benjamin Bernheim erweist sich als führender französischer Tenor, der aber etwas unter seinen Möglichkeiten bleibt. Christian Van Horn gibt die Widersacher prägnant. Und Kate Lindsey als Muse und Nicklausse ist eine stimmakrobatische, sich immer wandelnde Spitzenklasse. Ein etwas ratlos machender Abend, der einen in Hoffmannsche Verzweiflungslagen stürzt. Da hilft nur, sich wie in der Oper mit einem kräftigen Punsch zu betrinken.
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