Nach langer Verzögerung hat das Nationaltheater Mannheim nun endlich seine Interimsspielstätte für die Opernproduktionen eröffnet: das „OPAL“, die Oper am Luisenpark. Als erste Neuinszenierung in der Regie von Luise Kautz ist Giuseppe Verdis Meisterwerk über die Bühne gegangen. Mannheims Generalmusikdirektor Roberto Rizzi Brignoli hat die musikalische Leitung übernommen.
Ideales Sängerpaar in der Mannheimer Übergangsoper
Stimmlich haben sich zwei gefunden in Giuseppe Verdis „La traviata“ am Nationaltheater Mannheim. Seunghee Kho als Violetta Valéry und Sung Min Song als Alfredo Germont sind musikalisch ein ideales und ganz erstaunliches Paar. Beide sind eigentlich keine idealen Vertreter für den Bel Canto, sondern eher fürs lyrische Fach.
Das funktioniert hier perfekt mit einer exzellenten Orchesterabstimmung, weil die neue Oper am Luisenpark über eine sehr schöne Balance von Graben und Bühne verfügt. Die Interim-Spielstätte während der umbaubedingten Schließphase des Nationaltheaters ist alles andere als eine Notlösung, sondern ein echter Gewinn.
Die Belüftungsanlage ist vielleicht etwas zu dominant, aber darüber muss man beim schönen Gesang hinweghören. Die lyrische Lesart passt jedenfalls sehr gut zu Verdis realistischer Sichtweise auf den Totentanz der vom Weg Abgekommenen und der fatalen Mixtur aus Lebenslust und Krankheitszerfall.
Die Hure wird hier zur Heiligen
Das herausstechende Merkmal der Violetta in Luise Kautz‘ Inszenierung sind ihre roten Haare. Ein überreifes Vitalitätssignal im sterbenden Körper. Damit ist sie auch erwachsener als Alfredo Germont, der mit der Farbe seines Jacketts in der einleitenden Festorgie ein grüner Junge ist. Vertrauen muss er erst lernen und wenn er es gelernt hat, dann ist es schon zu spät.
So opfert sich Violetta am Ende für das vom Vater Germont von ihr erpresste Familienglück auf dem Altar der Liebe. Aufgebahrt liegt sie vor dem dreiflügeligen Schrein, der die Polaroid-Erinnerungsfotos ihres kaputten Glücks birgt. Vor den Altarstufen bricht die Lebedame in einer letzten Aufbäumung von Lebenslust zusammen. Die Hure ist hier die Heilige.
Klug, aber manchmal zu brav inszeniert
Dem von Nikola Diskic nobel gesungenen Giorgio Germont fehlt jeglicher Heiligenschein. Unter der Noblesse lauert die Gewalt. Und auch der Pariser Partygesellschaft geht der Glamour ab, kommt sie doch eher als grauer Alltag daher.
In Floras Salon im zweiten Akt ist der spanische Maskenball mit Stierkämpfern ganz in Schwarz-Weiß gehalten. Es ist eher das öffentliche Urteil der Inquisition, bei dem Alfredo zur Hexenverbrennung von Violetta auf dem Pharo-Spieltisch schreitet.
Der Himmel hat sich bereits zuvor im Liebesidyll des zweiten Akts gegen das Paar verschworen. Die Rokokotapete des Landhauses im Bühnenbild von Valentin Mattka krönt ein düsteres Wolkendräuen und kündigt den Einbruch des finsteren Giorgio Germont in Anzug und Krawatte an.
Das alles ist klug, manchmal auch etwas statisch brav inszeniert, solide, ohne überraschend zu sein. Anderes sollte man besser vermeiden, wie zum Beispiel den Tenor zu seiner strahlenden Arie sich anziehen lassen. Oder so zu tun, als würde man elektrisch angeknipste Altarkerzen mit einer anderen Flamme illuminieren.
Brignoli dirigiert Verdi subtil und herb
Roberto Rizzi Brignoli gelingt hingegen mit dem Orchester des Nationaltheaters alles, was er an Subtilität aus Verdis Partitur herausholt. Da gibt es nichts Knalliges bei der Darstellung des Vitalen und vor allem lässt er Verdis kostbaren Wirklichkeitsklang hören: Das Holz ist herb, aber gerade deshalb schön.
Das Pharo-Spiel, in dem Alfredo die klamme Violetta mit seinen hohen Einsätzen demütigt, hat man kaum je so scharf akzentuiert gehört wie hier. Das sind musikalisch tödliche Stiche des Martyriums einer bedingungslos Liebenden. Erlösung gibt’s hier keine. Wir sind ja auch nicht bei Wagner, sondern bei einem wahrhaft glasklar durchleuchteten Verdi.
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