Buch der Woche

Marion Poschmann - Nimbus

Stand
Autor/in
Carsten Otte

Der neue Gedichtband von Marion Poschmann heißt „Nimbus“, handelt vom Klimawandel und der Frage, was von vergangenen Formen in der Natur und der Kultur übrigbleibt, wenn der Mensch sein Zerstörungswerk fortsetzt.

Der Stil ihrer Wolkenlyrik ist aber alles andere als wolkig. Die Dichterin schafft es vielmehr, in freien Rhythmen sprachliche Präzision herzustellen, um im nächsten Zyklus wiederum die lyrische Tradition zu würdigen, mal ernst, dann wieder mit einem Augenzwinkern.

Der Mensch bei Poschmann ist befremdlich und handelt rücksichtslos

Der erste Zyklus im neuen Gedichtband von Marion Poschmann beginnt mit einem Zitat von Sophokles:

Vielgestaltig ist das Ungeheure,
und nichts ist ungeheurer als der Mensch.

Unheimlich und befremdlich ist der Mensch bei Poschmann, weil er rücksichtslos handelt, weil er die Grenzen des industriellen Wachstums ignoriert und damit die Grundlagen des eigenen Lebens zerstört.

Hinter dem lyrischen Ich verbirgt sich das Prinzip der Zerstörung

Ein bedrohliches Zeichen: Die Kälte verschwindet, von Schnee und Eis wird wohl, wie in Poschmanns Lyrik, bald nur in der Vergangenheitsform gesprochen werden.

Noch gestern betete ich Berge an.
Ich kaufte Ansichtskarten, schickte sie
an mich, nach Hause, zur Erinnerung
an das Zerstörungswerk, das ich hier tat,
ich taute Grönland auf mit meinem Blick,
ich schmolz die Gletscher, während ich sie
voll der Andacht überflog. (…)

Noch scheint die Vorstellung, ein lyrisches Ich könne einen Gletscher zum Schmelzen bringen, eine wahnwitzige Übertreibung. Oder eben auch nicht, wenn sich hinter diesem Ich eben jenes Ungeheure verbirgt, das Prinzip der Zerstörung.

Autorin Marion Poschmann
Autorin Marion Poschmann

Aus dem ewigen Eis wird Schmelzwasser

Die „Top-Eis- und Schneefestivals der nördlichen Hemisphäre“, so der Titel eines weiteren Gedichts, scheinen nur noch überlebte „Fetische aus den Minusgraden“ zu präsentieren.

Nicht mal im sibirischen Permafrost ist das Eis noch sicher, so dass von den skurrilen Kunstwerken aus Kältebausteinen bald nur noch etwas Restschnee und dann ewiges Schmelzwasser übrigbleibt.

Laß uns von Erdöl sprechen. Als der helle Tag
Wie jedes Mal von seiner Plattform kippte,
wuchs mir ein Pelz aus Pipelines, ich war Sonne,
und meine Strahlen reichten bis Sibirien.

Der Mensch erwärmt, was kalt bleiben sollte

Die Bildsprache ist so verständlich wie überraschend. Der Pelz aus Pipelines ist nicht nur ein Spiel mit der Alliteration.

Während ein Pelz eigentlich wärmen soll, übernimmt diese Funktion nun das Erdöl, das – einmal zum Kohlenstoffdioxid verbrannt – das Weltklima verändert.

Der Pelz aus Pipelines ist hier ein groteskes Symbol für den ungeheuren Menschen, der selbst zur Sonne wird und dessen Strahlen auch erwärmen, was kalt bleiben sollte.

Poschmann thematisiert Naturlyrik im Wandel der Zeit

Nun sollte Poschmanns Lyrik keineswegs als apokalyptische Fridays-for-Future-Dichtung missverstanden werden, selbst wenn die Frage, was von Natur und Kultur nach dem Zerstörungswerk übrigbleibt, im Zentrum ihrer aktuellen Arbeit steht.

Denn die Autorin erkundet nicht nur alarmierende Oberflächenphänomene, sie treibt vielmehr eine literaturhistorische Tiefenbohrung: Wie etwa würden die Klassiker der Naturlyrik gelesen werden, wenn die Natur sich grundlegend verändert hat?

Dem Gedichtband steht ein Zitat Klopstocks voran

Tatsächlich verbindet Poschmann die Klimakrise mit Klopstock, um diesen Verweis auf den Dichter der Empfindsamkeit am Ende des Bandes dann doch wieder zu ironisieren.

Rettung des Weltklimas aus
dem Geist der deutschen Ode –
haben wir uns nicht etwas viel vorgenommen?

„Langsam wandelt / die schwarze Wolke“, heißt es bei Friedrich Gottlieb Klopstock, und dieses Zitat hat Poschmann ihrem Gedichtband vorangestellt.

Naturwissenschaft wird in Poesie übersetzt

Wolkenformationen dienen ihr allerdings nicht nur als Anschauungsmaterial für inneres und äußeres Erleben, mit den Veränderungen am Himmel verknüpft Poschmann immer auch eine sprachliche und kulturelle Entdeckungsreise.

Sie ist in vergangenen Zeiten genauso unterwegs wie im Hier und Jetzt, sie übersetzt Naturwissenschaftliches in Poesie und weiß um die Schönheit von Doppelbedeutungen.

Das Buch trägt einen vieldeutigen Titel

Das beginnt schon mit dem Buchtitel „Nimbus“. Aus dem Lateinischen übersetzt, ist zunächst die dunkle Wolke gemeint.

Die Meteorologen fassen unter Nimbus dann sehr unterschiedliche Wolkentypen zusammen, die Regen bringen, etwa die Gewitterwolke Cumulo-Nimbus.

In der Kunstgeschichte wird mit dem Nimbus auch ein Heiligenschein bezeichnet. Zudem spricht man von einem Nimbus, wenn ein Mensch ein hohes Ansehen genießt.

Seltsamkeiten des Alltags und exotische Kultur

All diese Bedeutungen und sprachlichen Aufladungen sind bei Poschmann präsent, und noch viel mehr, denn die lyrische Qualität von Wolkenformationen bestehen auch im schwer Fassbaren, im Unbestimmten, im Bedrohlichen.

Womit wir wieder beim Klimawandel wären:

auflösen würden sich: Cumulostratus
die weite Wasserflächen bedecken
die Meere beschirmen und keine
Besitzansprüche erheben (…)

weggespült würden: die Küstenlinie aus Tetrapoden
und Bettenburgen zu nahe am Ufer
standhalten würden: die maßlosen Büsten
die Reste gesprengter Bunker am Strand

Marion Poschmann erinnert in ihren Gedichten nicht nur an die Seltsamkeiten aus unserem heutigen Leben, wie etwa die hässlichen Betonmonster am Nordseestrand, die als Tetrapoden Küstenschutz vorgaukelten, sie zieht, wie so oft in ihrem Werk, auch die asiatische Kunst zu Rate, dieses Mal die chinesische Keramik namens Seladon.

Der Sonettenkranz feiert sein Comeback in der Literatur

In einem anderen Zyklus weiß sie sogar dem guten alten Sonettenkranz etwas abzugewinnen.

Es scheint unter deutschen Dichterinnen und Dichtern ohnehin eine gewisse Mode für diese strenge Gedichtform zu geben, die im 18 und 19. Jahrhundert in Italien und dann auch in Deutschland beliebt war.

Carsten Otte hält das Buch Nimbus von Marion Poschmann
Rezensent Carsten Otte und „Nimbus“ von Marion Poschmann

In Poschmanns Sonett geht es um den Naturkundler und Sibirienforscher Johann Georg Gmelin, der „maßlos weiten Raum“ entdeckte, wie es bei Poschmann heißt, der auf einer „Nordischen Expedition“ noch Schnee und Dauerfrost erlebte, der als Aufklärer und Kartograph aber schon späteres Unheil vorbereitete und der auf andere Weise mit dem Tod konfrontiert war.

(…) er reiste mit gepuderter Perücke
Jetzt glitt er unsichtbar in eine Lücke
er schoß – und spürte Blei in seinem Bauch.
Der Jäger, der zum Wild wird, ist der beste.
Als Herzschlag tickten noch in seiner Weste
die Uhrenzeiger, nicht mehr in Gebrauch.

Poschmann bleibt häufig kopfschüttelnd zurück

Die Zeit, die abläuft, ist ein Motiv, das Poschmann nicht nur im stilsicheren Reim und melancholischen Witz vorträgt.

Manchmal kippt ihr Ton in erstaunte Ratlosigkeit, wenn sie etwa an die Entwicklung von Nylon, Polyester und Polyamid und eine Verwandtschaft erinnert, die sich für die neuen Modestoffe restlos begeistern konnte.

Heute verschmutzen Kunststoffe die Weltmeere, und die Erinnerung ist auf nicht absehbare Zeit von Plastikprodukten geprägt.

(…) Meine Kindheit jene der Tetrapaks,
Plastiktüten und Kühltruhen. Letztens erst trieben
im Müllstrudel Tausende Überraschungseikapseln
mit Spielzeug gefüllt an den Strand von Langeoog.

Manche Bilder und Ereignisse lassen sich nicht erfinden, und so sind Poschmanns Zeilen zuweilen auch als lyrisches Kopfschütteln über die Skurrilität unseres Alltags zu lesen.

„Nimbus“ ist ein deutlicher und politischer Gedichtband

Im Vergleich zu ihren früheren Arbeiten der Autorin ist „Nimbus“ deutlicher, direkter, politischer, ohne an lyrischer Qualität einzubüßen.

Im Gegenteil. Mit ihrem Band „Nimbus“ hat die Schriftstellerin abermals gezeigt, dass sie derzeit zu den bedeutendsten Dichterinnen deutscher Sprache gehört.

WARUM DIESES BUCH: Weil die Lyrik von Marion Poschmann immer auch eine sprachliche Entdeckungsreise ist. Das beginnt schon mit dem Titel des neuen Gedichtbandes „Nimbus“ (Suhrkamp Verlag).

#WarumdiesesBuchGepostet von SWR2 am Freitag, 8. Mai 2020

Sprachliche Präzision wird gepaart mit lyrischer Tradition

Der Stil ihrer Wolkenlyrik ist eben alles andere als wolkig, sie schafft es, in freien Rhythmen sprachliche Präzision herzustellen, um im nächsten Zyklus wiederum die lyrische Tradition zu würdigen, mal ernst, dann wieder mit einem Augenzwinkern.

Marion Poschmann beherrscht nicht nur alle Formen der Dichtkunst, sie beschenkt uns auch mit eindrücklichen Sprachbildern von einer sich bedrohlich verändernden Welt.

Stand
Autor/in
Carsten Otte