Tanzabend bei den Salzburger Festspielen

Im wahrsten Sinne bewegend: „Spiegelneuronen“ von Rimini Protokoll mit Sasha Waltz & Guests

Stand
Autor/in
Sven Ricklefs

Ein großer Spiegel auf die Bühne und Tänzerinnen und Tänzer im Zuschauersaal, die mit ihren Bewegungen unsere Spiegelneuronen anregen. Langsam entsteht eine Choreographie im Raum, die ansteckt zur Nachahmung, zu einem Miteinander in der Bewegung.

Gigantischer Spiegel vor dem Publikum

Da wo sonst die Bühne ist, ist an diesem Abend ein riesiger Spiegel, der wie in einem gigantischen Selfie das gesamte Publikum reflektiert. Und so ist man zunächst einmal tatsächlich damit beschäftigt, sich selbst in der Masse ausfindig zu machen, denn normalerweise steht man allein oder zumindest sehr nah vor einem Spiegel.

Während der 80-minütigen Performance kommentieren Stimmen aus der Wissenschaft, aus Bereichen wie Hirnforschung, Biologie oder Soziologie, was gerade passiert – im Raum und auch in einem selbst.

Bei Rimini-Protokoll trifft Wissenschaft auf Theater

Die Einbeziehung von Wissenschaft in ihre theatralen Rechercheprojekte steht ganz in der Tradition der Künstlergruppe Rimini-Protokoll.

Doch es sind die 20 Statist*innen und die sieben Tänzer*innen von Sasha Waltz, die – punktuell im Publikum verteilt – nun langsam die Anregungen zur Bewegung umsetzen: die winken, sich kratzen, die Hände tanzen lassen, die Arme.

Choreographie, die ansteckt

So entsteht, getragen von einem Soundteppich, langsam eine Choreographie im Raum, die ansteckt, zumindest einen Großteil des Publikums, die ansteckt zur Einstimmung, zur Nachahmung, zu einem Miteinander in der Bewegung.

Spiegelneuronen 2024 bei den Salzburger Festspielen
Ein Teil des Publikums verschmilzt mit der Gruppe, ein anderer bleibt reglos sitzen – eine Zerreißprobe.

„Spiegelneuronen“ hat Stefan Kaegi von Rimini-Protokoll seine Produktion genannt, und bezieht sich damit auf jene neuronalen Verbindungen, die uns Handlungen und Bewegungen anderer kognitiv nachempfinden lassen. 

Bewegend im wahrsten Sinne

Während sich ein Teil des Publikums längst von den Plätzen erhoben hat und vor seinem eigenen Spiegelbild langsam der Synchronizität des Schwarms erliegt, bleibt ein anderer Teil wohl bewusst sitzen, bewegt sich kaum oder gar nicht.

Doch auch diese Reaktion greift die Tonspur auf, die Stefan Kaegi mit seinen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten geschaffen hat.

So diskutiert diese Produktion auf sehr unterhaltsame – und zugleich im wahrsten Sinne des Wortes bewegende Weise – immer zugleich beide Seiten: Mitmachen und Widerstand, Gemeinschaft und Singularität, Schwarm und Ego, Gruppenzugehörigkeit und Ausgeschlossensein.

Die Sehnsucht nach Verschmelzung bei gleichzeitiger Notwendigkeit der Abgrenzung: Das ist wohl tatsächlich die große Zerreißprobe des Menschen.   

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Sven Ricklefs