Trashiger Assoziationsreigen

Liberace meets Comedian Harmonists: Revue-Operette „Casanova“ in Stuttgart

Stand
Autor/in
Bernd Künzig
Das Interview führte
Wilm Hüffer
Interview mit
Bernd Künzig

Ralph Benatzkys Operettenrevue „Casanova“ war 1928 ein Sensationserfolg und machte die Comedian Harmonists schlagartig berühmt. Das rasante Stück um den italienischen Womanizer und Hochstapler frischt die Staatsoper Stuttgart mit einer Inszenierung von Marco Štorman und der musikalischen Leitung von Cornelius Meister auf. Doch ganz schlau wird man aus diesem trashiger Assoziationsreigen nicht

Casanova gibt es nicht. Zumindest nicht als Person aus Fleisch und Blut in unserer Gegenwart. In ihr ist er ein Prinzip, ein Mythos, der um erotische Verführung, sexuelle Potenz, Galanterie und nicht zuletzt eine phallusbestimmte Männlichkeit kreist. Schon Federico Fellini hat ihn in seinem Film als Clown dekonstruiert. Seine Lebensgeschichte selbst ist ein Stück Memoirenliteratur geworden, aus der man sich bedienen kann.

Auf dem Bild CASANOVA: Mara Guseynova (Helene), Stine Marie Fischer (Trude), Michael Mayes (Casanova), Esther Dierkes (Laura), Cassie Augusta Jørgensen und Maria Theresa Ullrich (Barberina), Staatsopernchor Stuttgart; 2024
Michael Mayes (Mitte) singt und spielt in der Stuttgarter Aufführung der Benatzky-Operettenrevue den legendären Frauenhelden.

Überschreibung der Strauss-Überschreibung

Ralph Benatzky hat sich in seiner Operettenrevue „Casanova“ entsprechend verhalten und Motive aus den Abenteuern des venezianischen Liebhabers zu einer losen Handlungskette zusammengebunden. Sie ist Anlass für Musik. Eine Musik, die sich wiederum bei einem anderen Mythos der klassischen Operette bedient.

So überschreibt Benatzky einfach die Musik aus Strauss‘ weniger bekannten Operetten wie „Cagliostro in Wien“, „Indigo und die 40 Räuber“ oder „Prinz Methusalem“ und und kombiniert sie mit anderen populären Stücke wie der „Pizzicato-Polka“. Und dann lässt er noch die Comedian Harmonists erstmals öffentlich mit der für die Gruppe später so typischen ironischen Musik auftreten.

Was macht man daraus heute? Eine weitere Überschreibung, die sich nun Marco Štorman mit seiner Inszenierung an der Staatsoper Stuttgart gönnt!

Auf dem Bild CASANOVA: Mara Guseynova (Helene), Johannes Kammler (Waldstein); 2024
Ralph Benatzky (1884 - 1957) gehörte zu den erfolgreichsten Operetten- und Revue-Komponisten im Berlin der 1920er-Jahre. Er verband die klassische Wiener Operette mit den neuen Klängen des Jazz. Bild in Detailansicht öffnen
Auf dem Bild CASANOVA: Maria Theresa Ullrich und Cassie Augusta Jørgensen (Barberina); 2024
Besonders eindeutig wird dies in seiner 1928 uraufgeführten Revue-Operette „Casanova“. Benatzky bezieht sich musikalisch direkt auf Johann Strauss' Operette „Cagliostro in Wien“ (1875), die er neu arrangiert und mit Jazz-Elementen versetzt. Bild in Detailansicht öffnen
Auf dem Bild CASANOVA: Michael Mayes (Casanova), Staatsopernchor Stuttgart; 2024
Benatzky, der zwar selbst nicht Jude war, allerdings mit einer Jüdin verheiratet, verlässt Berlin 1932 aufgrund der immer stärker anti-jüdisch aufgeladenen Stimmung. Er siedelt in die Schweiz über, später in die USA. Seine Stücke werden unter den Nazis als „entartete Kunst“ eingestuft. Bild in Detailansicht öffnen
Auf dem Bild CASANOVA: Cassie Augusta Jørgensen (Barberina), Johannes Kammler (Waldstein); 2024
In den USA kann Benatzky nicht an seine Berliner Erfolge anknüpfen. Er verdingt sich als Radio-Dirigent und übersetzt Werke ins Deutsche, unter anderem „Porgy & Bess“. Sein bis heute berühmtestes Stück bleibt die Operette „Im weißen Rößl“ (1930). Bild in Detailansicht öffnen

Las-Vegas-Revue mit Liberace und reichlich Phallussymbolik

Die rudimentäre Handlung wird gekappt, wie auch die Operette mit ihren Zwischentexten. Der Show-Charakter der Revue dominiert dergestalt auch auf der Bühne von Demian Wohler mit einer organisch aussuppenden Showtreppe, den Glitzervorhängen und den schrill überbordenden Kostümen von Yassu Yabara. Hinzu kommt eine Choreografie von Cassie August Jørgensen, die mit Geschlechteridentitäten spielt. Es ist eine Show, angelehnt an Las Vegas und die barocken Performances eines Liberace.

Und so spielt man sich durch die Varianten von Begehren, erotischen Maskeraden, einer Phallussymbolik von Kerzen, Kugeln, Patronen und Raketen. Da wimmelt es von Anspielungen und Andeutungen, Elon Musk kommt als bestechender Monarch auf die Bühne und selbst das Frauenbild unserer Neofaschisten wird karikiert. Diese Mixtur ist aber alles andere als lustig.

Auf dem Bild CASANOVA: Michael Mayes (Casanova); 2024
Wie Venus im Bild von Sandro Botticelli steigt Casanova (Michael Mayes) aus der Muschel hinab, um bei den Menschen sexuelle Verwirrung auszulösen.

Das Rollenmodell des Casanovas erscheint zuerst wie die aus der Muschel geborene Venus mit langem Haar, das dann zum Zopf eines Ancien-Regime-Bewohners gebunden wird, die Wiederholung der bekannten Porträtsilhouette des venezianischen Superliebhabers. Am Ende verausgabt sich dieser Casanova anhand von Sexpillen in die Vergreisung und legt sich dann zur ewigen Ruhe in der sich schließenden Muschel ab.

Trashiger Assoziationsreigen

Form gewinnt dieser ziemlich trashige Assoziationsreigen durch die Musik Benatzkys, die nicht weniger heterogen ist als Štormans Bilderreigen. Dieser musikalische Fluss reicht vom Wiener Walzer über Tango, Flamenco und italienische Mandolinenklänge bis hin zur Kirchenmusik und eben den Comedian Harmonists.

Da kommt zusammen, was nicht zusammengehört und verkündet das Verführungsevangelium Casanovas als lustvolles Zusammenspiel der musikalischen Stilmittel. Eine Revue eben.

Auf dem Bild CASANOVA: Maria Theresa Ullrich (Barberina), Michael Mayes (Casanova), Staatsopernchor Stuttgart; 2024
Casanova (Michael Mayes) tritt in vielen Gestalten auf, unter anderem als lüsterner Satyr.

Kaum etwas in dieser Revue passt zusammen

Aber Štormans lässt dann ausgerechnet in der Szene des Wiener Opernballs aus dem Bühnenhimmel die verwackelte, zittrige Schrift „Revue ne va plus“ (revue geht nicht mehr) herabschweben. Bei aller musikalischen Fetzigkeit geht für ihn diese Revue dann offensichtlich doch nicht auf.

Das männliche Begehren wird mit Texten von Judith Schalansky über die griechische Dichterin Sappho als Prinzip des weiblichen Begehrens konterkariert. Zusammen geht das auch nicht, wie eben kaum etwas in dieser Operettenrevue zusammenpasst. Die Montage und Collage dieser Regie betonen mehr die Bruchstellen als die Klebemittel. 

Auf dem Bild CASANOVA: Kai Kluge (Menuzzi), Elmar Gilbertsson (Costa), Moritz Kallenberg (Hohenfels), Johannes Kammler (Waldstein), Florian Hartmann (Dohna); 2024
1928 verhilft Benatzkys Operette den Comedian Harmonists zum schlagartigen Durchbruch. Im Bild: Kai Kluge (Menuzzi), Elmar Gilbertsson (Costa), Moritz Kallenberg (Hohenfels), Johannes Kammler (Waldstein), Florian Hartmann (Dohna).

Grandios gelingt die Interpretation der Comedian Harmonists

Man muss sich da schon an die Musik halten. Absolut grandios sind Kai Kluge, Elmar Gilbertsson, Moritz Kallenberg, Johannes Kammler und Florian Hartmann mit dem Pianisten Michael Pandya, die die Comedian Harmonists nicht imitieren, sondern als musikalisches Stilprinzip ausleben.

Das Staatsorchester wirft sich mit Wucht unter der Leitung von Cornelius Meister in Benatzkys Füllhorn der Revuemusik. Manchmal kracht es aber auch etwas zu vehement aus dem Graben und reduziert Sängerinnen und Sänger zu Lippenbewegern. Man muss in dieser Operettenrevue sicher nicht alles verstehen, ob man aber die Texte nicht auch ohne Obertitelanlage verstehen soll, bleibt eine offene kritische Frage.

Trailer: Casanova | Staatsoper Stuttgart

In musikalischer Hinsicht eindeutiger als in szenischer

Die Partie des Casanova ist nicht ohne. Bei der Uraufführung sang sie der Bariton Michael Bohnen, damals ein Superstar der deutschen und internationalen Opernbühnen. Michael Mayes stimmliche Spannweite ist enorm, da reicht er an den Uraufführungsinterpreten heran. Das szenisch Groteske beherrscht er.

Wohl unfreiwillig verfällt er in den Brechtschen Verfremdungseffekt, mit dem er uns fast schon eindringlich zuwinkt, es wird hier nur gespielt. Als sei es doch auch ihm ein bisschen peinlich, dieser Ganzkörper-Nacktanzug.

Esther Dierkes und Moritz Kallenberg sind ein durchaus anrührendes Paar als Laura und Hohenfels, dem man musikalisch das Liebesglück abnimmt. Der Staatsopernchor singt ausgezeichnet.

In musikalischer Hinsicht ist der Abend jedenfalls etwas eindeutiger als in szenischer. Er zeigt: Benatzkys Überschreibung der Operette lohnt sich.

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