Mein Kulturmoment des Jahres 2024

Opernperformance „Sancta“: Feier der Toleranz und des Miteinanders

Stand
Autor/in
Eva Marburg

Die mediale Debatte um das Publikum, das während der Opernperformance „Sancta“ an der Staatsoper Stuttgart Kreislaufprobleme bekam, verstellt den Blick auf das intensivste und beeindruckendste Erlebnis des Jahres 2024.

Bühnenskandal des Jahres

Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass die Opernperformance „Sancta“ von Florentina Holzinger, die mich 2024 so ergriffen und bewegt hat, wie lange kein Abend im Theater, ausgerechnet der Bühnenskandal des Jahres werden würde.

Dass einige Zuschauerinnen Kreislaufprobleme im Opernhaus bekamen und in manchen Fällen auch Sanitäter dazu gerufen wurden, war dem Land und der Presse einen künstlich hochgeputschten Skandal wert, an dessen Ende die Darstellerinnen mit verstärktem Sicherheitspersonal geschützt werden mussten.

Radikal feministischer Blick

Ja, „Sancta“ kann die eigenen Sehgewohnheiten strapazieren und damit meine ich nicht unbedingt das Live-Piercing, die nackten, sich aneinanderreibenden Darstellerinnen oder das Hinzufügen einer Schmuckwunde mit Skalpell, was hier als Videoübertragung zu sehen war.  

Das Radikale dieser Performance liegt eher in dem uneingeschränkten feministischen Blick – hier auf die christliche Religionsgeschichte, die seit jeher von Männern bestimmt wurde und wird.

Auch Jesus wird als Frau dargestellt

Ein umschlungenes Frauenpaar ersetzt Jesus am Kreuz, Frauen zaubern beim Abendmahl Brot und Wein auf den Tisch. Der Papst ist weiblich und auch Jesus ist eine Frau – selbstbewusst, modern, uneingeschüchtert – und vergibt dem Publikum großzügig die Sünden.     

Neben diesem selbstbewussten Gestus und seiner Kritik an männlicher Gewalt und Dominanz, berührte mich an diesem Abend der Überschuss an weiblicher Zärtlichkeit, an Liebe und Akzeptanz, die bei „Sancta“ in unbeschreiblich poetische Bilder gebannt wurden.

Toleranz als Botschaft

Dieser Abend ist eine Feier der Toleranz, des unbedingten Miteinanders und des gegenseitigen Respekts. Das ist die Botschaft, die hier erlebbar war – besonders am Ende, als wir alle im Publikum zum gemeinsamen Singen aufgefordert wurden.

Love never fails and with that, Please, I’m gonna encourage you: Sing the words with me. Don’t dream it, be it! Stand up everybody...

Träum es nicht, sei es! – lautete die Aufforderung zur Akzeptanz aller Körper und als ich mich umsah, wie jeder und jede mitsang und diese kurze Utopie mitträumte – da überkam mich für diesen Moment der Glaube.

Am Ende bleibt Hoffnung

Nämlich die Hoffnung, dass ein menschliches Miteinander vielleicht doch möglich ist. Dass Kunst diese Hoffnung schenken kann.

In der echten Welt habe ich zu dieser Hoffnung wenig Anlass – und das ist doch der eigentliche Skandal.

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Eva Marburg