Buchkritik

Kate Beaton – Ducks. Zwei Jahre in Ölsanden

Stand
Autor/in
Lukas Meyer-Blankenburg

Zwei Jahre hat die Autorin und Zeichnerin Kate Beaton in den kanadischen Ölsanden gearbeitet, bei Minus 50 Grad in trostlosen Camps und belästigt von ihren Kollegen. „Ducks“ ist eine beeindruckende Comic-Autobiografie, 2022 eines von Barack Obamas Lieblingsbüchern – vollkommen zurecht.

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Ein rundes Gesicht unter einem Schutzhelm, dunkle, schulterlange Haare schauen hervor, die Arbeitshose schlabbert in Normgröße um die Beine – so zeichnet Kate Beaton ihre junge Heldin Katie gleich auf den ersten Seiten der Graphic Novel. In den trostlosen Arbeiter-Camps in den kanadischen Ölsanden ist die 21jährige als Frau die absolute Ausnahme. Und das bekommt sie von Tag eins an mehr als unangenehm zu spüren.

Für ihre männlichen Kollegen ist sie nur das Schätzchen, die Puppe, Baby, Süße, oder: hey, Kleine! Katie jobbt in der Werkzeugbutze, managt den Geräteverleih. An ihrem ersten Arbeitstag stehen die Männer Schlange.

Nicht, um sich Schraubschlüssel oder Batterien abzuholen, sondern um die Neue zu begaffen – und ihren Körper lautstark vor ihr zu beurteilen: Ihre Brüste sind – Zitat – „stramme Hupen“, draußen wäre sie vielleicht nur eine „Vier“, hier im Camp ist sie eine „Acht“. Von einem unbekannten Kollegen bekommt sie anzügliche SMS. Im Wohntrakt stolpern immer wieder Arbeiter in ihr Zimmer, angeblich ganz aus Versehen. So geht das erzählt und gezeichnet über, ja, wirklich, hunderte Seiten.

Als sich Katie bei ihrem Vorgesetzten über die Belästigungen beschwert, meint der nur, sie habe schließlich gewusst, worauf sie sich eingelassen habe.

„Ducks“ ist ein autobiografischer Bericht. Comiczeichnerin Kate Beaton hat ihn 2016 auf Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen zusammengestellt, rekonstruiert aus Notizen aus ihrer Zeit in den Ölsanden Kanadas, mit Hilfe von alten E-Mails und Gesprächen mit Ex-Kollegen.

2005 will die Autorin Kate genauso wie ihre Comic-Heldin Katie nach einem brotlosen Studium, ein Bachelor in Anthropologie, möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen, um ihren Studienkredit abzubezahlen. Also zieht sie los.

Die Jobs für Menschen wie Katie haben Anfang der Nuller Jahre die großen nordamerikanischen Öl-Förderkonzerne. In riesigen Minen im unwirtlichen Norden Albertas pressen sie möglichst viel Öl aus dem Sand – ohne Rücksicht auf Natur und Mensch. Die dreckige Angelegenheit in den matschigen Wetlands, wo es im Winter bis zu Minus 50 Grad kalt werden kann, ist gut bezahlt.

Also rackert Katie sechs Tage die Woche in 12- oder 14-Stunden-Schichten im Werkzeugverleih, nimmt Bestellungen an, putzt Maschinen und muss sich die Sprüche der Männer anhören. Es bleibt aber nicht dabei. Als sie eine Kollegin auf eine Privatparty mitschleppt, trinkt sie zu viel Wodka und wird von einem unbekannten Arbeiter in dessen Zimmer gelockt.

Dort, so deutet es der Comic mit ganz in schwarz gehaltenen Bildern an, vergewaltigt er sie. Katie ist in den folgenden Tagen sichtbar durch den Wind. Aber ihre befreundeten männlichen Kollegen lachen nur, nach dem Motto: wer besoffen Sex hat, kann gar nicht vergewaltigt werden. Jede Kollegin, jede Freundin im Buch oder ihre Schwester, der sich Katie öffnet, vertraut ihr umgekehrt eine ähnliche Geschichte an.

Das ist erschütternd.

„Ducks“ – der Titel spielt auf die Entenschwärme an, die im ölverseuchten Abwasser verenden – ist aber nicht nur ein MeToo-Buch, die Abrechnung einer zu Recht wütenden jungen Frau. Stark ist der Comic auch deshalb, weil er die bedrückenden Arbeitsbedingungen zeigt – und sich die Autorin ein pauschales Urteil über die Männerwelt in den Camps verkneift.

Nein, nicht alle sind schlecht. Da ist ihr Freund Mike, an den sie sich lehnen kann. Da ist der alte Norman, der ihr Abzüge von seinen Fotos schenkt, die er von den beeindruckenden Nordlichtern gemacht hat. Auch viele der Männer haben zu kämpfen, halten sich mit den Jobs im Camp über Wasser, vermissen ihre Familien.

Für Ex-US-Präsident Barack Obama war „Ducks“ 2022 eines der besten Bücher des Jahres. Man kann ihm nur beipflichten. Es steckt enorm viel drin in dem 450 Seiten Comic. Durchgängig in grau-weiß-schwarzen Tönen gezeichnet, mit klarer, fast schon niedlich naiver Linie, porträtiert Kate Beaton die kanadische Arbeiterklasse, wie mittellose Menschen versuchen, sich in einem rücksichtslos auf Profit getrimmten Arbeitswesen über Wasser zu halten.

„Ducks“ zeigt die persönlichen und gesellschaftlichen Zwickmühlen einer jungen Frau, der die drückenden Schulden des Studienkredits den Weg ins Leben versperren. Und der Comic macht die dramatischen Umwelt-Auswirkungen der Öl-Förderung deutlich. Verwüstete Landschaften, Tiere, die im öligen Matsch verrecken, die trostlosen Container-Camps, in denen die Trucks im Winter 24 Stunden lang laufen müssen, damit sie nicht einfrieren.

Und da sind die Anwohner der Ölsande, indigene Gemeinden, die auf im wahrsten Sinne vergifteten Böden leben müssen. Viele Gemeinden haben auffallend hohe Zahlen an Krebserkrankungen. Seit Jahrzehnten kämpfen die First Nations um Anerkennung und gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.

Auch das wird in dem Comic zumindest angerissen, weil Katie zunehmend bewusst wird, in was für einem dreckigen Geschäft sie mitmacht, in gewisser Weise mitmachen muss – gefangen wie die Enten im klebrigen Öl. Damit ist „Ducks“ nicht zuletzt auch ein Klima-Buch, das perfekt in unsere gegenwärtigen Diskussionen um die Energiewende passt.

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Autor/in
Lukas Meyer-Blankenburg