Wie ein Roman gegen Antisemitismus zur mörderischen Propaganda wurde
Am 25. März 1925 erschien Lion Feuchtwangers „Jud Süß“. Der Roman erzählt die Geschichte von Joseph Süß Oppenheimer, einem jüdischen Finanzberater am Hof des Herzogs von Württemberg im 18. Jahrhundert. Feuchtwanger nutzt die historische Figur, um gesellschaftliche Mechanismen von Macht, Intrige und Ausgrenzung zu analysieren.
Oppenheimer wird als komplexe Figur dargestellt. Er ist ein ehrgeiziger und talentierter Mann. Immer wieder muss er sich in einer feindseligen Gesellschaft seinen Platz erkämpfen. Gleichzeitig stößt er aufgrund seiner Herkunft auch immer wieder an den Grenzen.
Der Roman geht tief in die gesellschaftlichen Strukturen und zeigt, wie Oppenheimer, trotz seines Erfolgs, aufgrund seiner jüdischen Herkunft ständig ausgegrenzt und letztlich sogar verraten wird. Feuchtwanger kritisiert nicht nur die äußeren gesellschaftlichen Umstände, sondern auch die Doppelmoral der damaligen Gesellschaft, die Oppenheimer aufgrund seiner Identität ablehnt.

Der Roman „Jud Süß“: Eine vielschichtige Auseinandersetzung
Feuchtwangers „Jud Süß“ ist kein Heldenroman, sondern vielmehr eine differenzierte Reflexion über Fremdzuschreibungen und gesellschaftlichen Ausschluss. Feuchtwanger interessiert sich dabei weniger für die historischen Fakten als für die Mechanismen, die seinen Aufstieg und Fall bestimmen.
Besonders betont der 1884 in München geborene Autor die Willkür des Antisemitismus: Oppenheimer wird nicht für seine Taten verurteilt, sondern für das, wofür er in den Augen der Gesellschaft steht.

Die NS-Verfilmung von „Jud Süß“: Pervertierung eines Stoffes
1940 wurde „Jud Süß“ unter der Regie von Veit Harlan verfilmt. Unter direkter Aufsicht von Joseph Goebbels entstand einer der perfidesten antisemitischen Propagandafilme des NS-Regimes. Dass der Film ganz nach seinem Geschmack geraten ist, zeigt auch ein Eintrag in seinem Tagebuch. Darin bezeichnet der Reichspropagandaminister „Jud Süß“ als den ersten wirklich antisemitischen Film.
Der Film verkehrt die Intention des Romans ins glatte Gegenteil. Joseph Süß Oppenheimer wird als betrügerischer, rücksichtsloser Jude dargestellt, der die Gesellschaft von innen heraus zerstört. Mit brutalen Bildern und emotionaler Manipulation diente der Film dazu, Hass zu schüren.
Die besonders boshafter Darstellung der jüdischen Figur sollte nicht nur das Bild des jüdischen Volkes insgesamt entwerten, sondern die Zerstörung des „jüdischen Ungeistes“ symbolisieren. Die Hauptfigur wird zur Verkörperung von Verrat und moralischer Verderbtheit, die den „arischen“ Charakter bedroht.
Durch emotionale Manipulation und eine systematische Entmenschlichung wird das Publikum in den Film hineingezogen und zugleich gegen die jüdische Gemeinschaft aufgebracht. Goebbels und die NS-Filmpropaganda nutzten diese Bilder, um rassistische Stereotype zu verbreiten. Damit diente der Film auch als Vorbereitungen für die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.

Das britische Gegenstück von 1934
Schon 1934 erschien eine britische Verfilmung des Stoffes unter der Regie von Lothar Mendes mit Conrad Veidt in der Hauptrolle. Anders als die NS-Version war dieser Film eine bewusste Absage an Antisemitismus.
Oppenheimer wird als Opfer der Machtverhältnisse gezeichnet, als Figur, die durch Intrigen und Vorurteile zu Fall gebracht wird. Der britische Film blieb international weit weniger bekannt als die spätere NS-Propaganda, steht aber als Beispiel dafür, wie unterschiedlich ein Stoff interpretiert werden kann.
Mediale Manipulation als zeitloses Problem
Die Geschichte von „Jud Süß“ zeigt, wie Narrative umgedeutet und missbraucht werden können. Feuchtwangers Roman wurde nach seiner Veröffentlichung gefeiert, in Deutschland jedoch von den Nationalsozialisten verboten. Gleichzeitig verbreiteten die Faschisten den NS-Film aggressiv mit großer Reichweite.
So wurde „Jud Süß“ am 5. September 1940 auf der Biennale in Venedig uraufgeführt. Das Publikum im Kinosaal war im faschistischen Italien begeistert. Die Mischung aus tragischer Liebesgeschichte, boshafter Judenhetze und dramatisch inszenierten Massenszenen bedienten die bereits vorhandenen antisemitischen Vorurteile auf eine nahezu ideale Weise.

Diese bewusste Umdeutung einer Geschichte für politische Zwecke ist kein Einzelfall. So waren während des Kalten Krieges sowohl westliche als auch kommunistische Regierungen äußerst geschickt darin, Filme, Bücher und andere Medien zur Verbreitung ihrer jeweiligen Ideologien zu nutzen.
Das zeigt, wie wichtig es ist, historische und literarische Quellen kritisch zu hinterfragen. „Jud Süß“ bleibt ein mahnendes Beispiel dafür, wie Kultur instrumentalisiert werden kann – und wie entscheidend es ist, die ursprünglichen Intentionen eines Werkes zu bewahren.