Stephen Sondheim ist den meisten als Verfasser der Songtexte von Bernsteins Musicalklassiker „West Side Story“ bekannt. Er selbst komponierte zahlreiche „ernste“ Musicals. Mit „Into the Woods“ schufen Sondheim und Texter James Lapine eine fast schon dekonstruktive Auseinandersetzung mit der Grimmschen Märchenwelt. Das Theater Basel hat das Musical jetzt in einer Neuproduktion auf die Bühne gebracht.
Jede Menge Wünsche im Märchenland
Am Theater Basel beginnt das Märchen in Stephen Sondheims „Into the Woods“, wie gewohnt: „Es war einmal“ sagt der Erzähler. Dann singt Cinderella „I Wish“ („Ich wünsche mir“)
Vor einem romantischen Märchenprospekt mit Wald und Schloss wünschen sich Cinderella den Prinzen, Jack Milch von seiner geliebten Kuh, Rotkäppchen wohl eine Sexualität und das Bäckerpaar ein Kind. Die Hexe hat die beiden zur Kinderlosigkeit verflucht.
Begegnung mit dem eigenen Begehren im Wald
Auf geht es in den Wald, wo die Wünsche erfüllt und die Flüche gelöst werden. In Martin G. Bergers Inszenierung ist der kein Gehölz, sondern ein auf der Drehbühne kreisendes Spiegelkabinett. Man sieht sich selbst und auch die Begegnung mit dem eigenen Begehren.
Ganz im Sinne der psychoanalytischen Märchenoper, die Sondheim und sein Texter James Lapine im Sinn haben, sind wir im Spiegelstadium. Magisch ist es dennoch, wenn sich die Wünsche als Projektionen in diesem Spiegelwald visualisieren. Das sind nur einige der Theaterzaubereien, die diese Inszenierung entfaltet.
Vor der Pause sind alle Wünsche erfüllt
Als Conférencier im weißen Anzug führt der brillante Stefan Kurt die Märchentruppe durch die Erzählung und zeigt, wo es lang geht in diesem Wald. Er ist aber auch der mysteriöse Mann, der dem Bäcker auf die Sprünge hilft und sich als dessen tot geglaubter Vater entpuppt.
Im Tausch für die Kuh bekommt Jack magische Zauberbohnen. Er klettert an der in den Himmel gewachsenen Ranke bis ins Reich der Riesen. Dort gibt es bei der Riesin nicht nur Speis und Trank, sondern auch Wärme unter der Bettdecke. Aber Jack nimmt zu viel mit. Der Riesenmann steigt ihm nach und fällt zu Tode. Am Ende des ersten Teils bekommen alle, was sie sich wünschen. Und wenn sie nicht gestorben sind …
Das Märchen ist tot
Nach der Pause ist Schluss mit dem Märchen. Bereits zuvor haben sich die Kostüme nach und nach in Kleidung der alltäglichen Gegenwart gewandelt. Entzauberung findet als Folge der Wunscherfüllung statt und der Krieg bricht aus.
Die Riesin sinnt auf Rache für den Tod ihres Mannes und will Jack ausgeliefert bekommen. Sie steigt aus den Höhen und trampelt Haus, Schloss, Hexengarten und auch Rapunzel nieder. Statt Jack wird der Erzähler ausgeliefert und das Märchen ist damit tot.
Existentialistisches Spiel zum Abschluss
Es gilt jetzt, allein miteinander klarzukommen. Der Spiegelwald ist in die Hinterbühne gefahren und auf nackter Bühne findet ein existentialistisches Spiel im leeren Raum statt. Mit List wird die Riesin besiegt. Wie, wird in Basel nur im Märchenbuch gelesen. Die Seiten werden einfach zerrissen und ohne großes Kampfgetümmel ist das Monstrum beseitigt.
Die Hexe hat schon zuvor den Abgang der Selbstverbrennung gesucht. Am Ende kümmern sich die Elternlosen um das Kind des Bäckers. Denn Märchen sind vor allem für Kinder. Und es endet, wie es begonnen hat: Mit Begehren. „I Wish“ singt Cinderella.
Brillantes Ensemble, engagiertes Orchester
Ein reines Kinderspiel ist dieses meisterhafte Märchenmusical in Basel aber nun nicht. Das brillante Ensemble wirft sich mit Verve in den Sondheimschen Musicaltonfall aus Witz, Hochdramatik und melancholischer Lyrik.
Als Hexe gibt Delia Mayer die Prima Donna. In der Doppelrolle von Prinz und Wolf ist Jan Rekeszus ein janusköpfiger Liebhaber und Oedo Kuipers ein entzückend mutiger Jack. Das Sinfonieorchester Basel unter Thomas Wise engagiert sich für Sondheims sinfonischen Fluss und die glänzende Instrumentation.
„Into the Woods“ in Basel erlöst das Musical vom Klischee der reinen Unterhaltung und zeigt es als packendes Musiktheater mit raffiniertem Tiefgang.
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