Kein Theater-Festival ist so blutig wie die Nibelungenfestspiele in Worms. In aller Regel fließt hier das Kunstblut in Strömen. Doch statt den Kriegstreiber*innen der Sage steht in diesem Jahr einer im Vordergrund, der das Blutvergießen stoppen will. „Der Diplomat“ bietet einen gnadenlosen Blick auf die Willkür der Mächtigen, der gerade in der aktuellen Krisenzeit bewegt.
Blut, unendlich viel Blut
Schon zu Beginn ist die riesige Freilichtbühne ein einziges Schlachtfeld: Rüstungen und Helme liegen im Matsch, ein altes Klavier versinkt halb im Modder. Dazu Blut, unendlich viel Blut.
Es stammt unter anderem von den beiden jungen Söhnen von Hunnenkönig Etzel, sie liegen im Dreck. Niedergemetzelt von Witta, einer Kriegerin des römischen Kaisers. Sie hat auch den Bruder von Dietrich von Bern auf dem Gewissen, der für die Hunnen kämpft. Witta und Dietrich treffen am Kampfplatz aufeinander.
Trotz Verwüstung nicht kriegsmüde
Dietrich von Bern hat genug. Genug vom Blutvergießen, genug vom Töten, genug vom sinnlosen Krieg. So kommt er als Diplomat an den Burgunderhof von König Gunter und dessen Sippe.
Auch dort herrscht Verwüstung. Aufgebahrt liegt der tote Held Siegfried im Zentrum der Bühne, er blutet ununterbrochen. Das ist für die Burgunder aber allerhöchstens lästig, sie sind noch nicht kriegsmüde. Auch Giselher, Gunters jüngerer Bruder, nicht.
Giselher wird am Ende sein Leben lassen und ist längst nicht der einzige. Dietrich von Bern scheitert krachend als Friedensstifter in dem Stück von Günter Senkel und Feridun Zaimoglu.
Nibelungenfestspiele 2024 Der Diplomat am Nibelungenhof: Wer ist Dietrich von Bern?
Vor dem Wormser Dom feiert das Stück „Der Diplomat“ seine Uraufführung. Im Fokus steht eine der schillerndsten Heldenfiguren des Mittelalters.
Roger Vontobel zeichnet eine hoffnungslose Dystopie
Regisseur Roger Vontobel, der bereits zum dritten Mal in Worms inszeniert, zeichnet eine hoffnungslose Dystopie, in der der Krieg des Krieges wegen geführt wird. Lediglich in Königin Kriemhild könnte Dietrich von Bern eine Verbündete finden.
Sie trauert um ihren Mann Siegfried, hadert mit ihrer Sippschaft. Aber klein beigeben will auch sie nicht: „Ich muss lernen, noch mächtiger zu hassen“, ruft sie, „damit der Hass mich nicht vernichtet.“
Glänzende Leistungen im Ensemble
TV-Star Jasna Fritzi Bauer glänzt als abgründige Kriemhild, genauso wie das gesamte Ensemble. Die Figuren auf der Bühne sind allesamt gebrochen. Bei den einen hat der Krieg zum Wahnsinn geführt, bei den anderen zum Größenwahn.
Brunhild, eindringlich gespielt von Yohanna Schwertfeger, hat ein handfestes Alkoholproblem, Gernot und Dietrich sehen Gespenster.
Anti-Kriegsstück voller Gewalt und Niedertracht
Eine Liveband unterstreicht die spukhafte Atmosphäre. Die düstere Szenerie von Bühnenbildner Palle Stehen Christensen und morbide Videoprojektionen an der Domfassade lassen keinen Zweifel zu: Das hier wird nicht gut ausgehen.
„Der Diplomat“ ist ein Anti-Kriegsstück voller Gewalt und Niedertracht. Den Stoff geplant hat das Autorenduo lange bevor die Kriege unserer Gegenwart sie eingeholt haben.
Lösungen bietet die Inszenierung nicht. Aber sie macht die Sinnlosigkeit des Sterbens auf den Schlachtfeldern und die Fallstricke der Diplomatie erschreckend deutlich. Es gab in der Vergangenheit schon spektakulärere Aufführungen bei den Nibelungenfestspielen. In diesem Jahr ist der gnadenlose Blick auf die Willkür der Mächtigen aber besonders zwingend.
Mehr zu den Nibelungenfestspielen 2024
Nibelungen-Festspiele stellen Bühnenbild vor Blut, Krieg und Diplomatie bei den Nibelungen-Festspielen in Worms
Die Macher der Nibelungen-Festspiele haben das Bühnenbild für die diesjährigen Aufführungen vor dem Wormser Dom vorgestellt. Und das wird so blutig sein, wie nie zuvor.
Premiere am 12. Juli Erste Leseprobe für Nibelungen-Festspiele 2024 in Worms
Sechs Wochen vor der Erstaufführung des Stücks "Der Diplomat" ist das Ensemble in Worms zusammengekommen. Doch gespielt wurde heute nichts - das erste Treffen war eine Leseprobe.
Neues Stück, neues Ensemble „Der Diplomat“ von Feridun Zaimoglu bei den Nibelungenfestspielen Worms
Ein Held mit nahezu unbegrenzter Macht, der Friedensstifter sein will – so zeigen die Nibelungenfestspiele die Sagenfigur Dietrich von Bern. SWR Kultur-Redakteurin Mareike Gries war bei der Pressekonferenz der Nibelungenfestspiele 2024 und berichtet von ihren Eindrücken.