Harte Kost zum Auftakt

Die 74. Berlinale eröffnet mit „Small Things Like These” und „Oppenheimer“-Star Cillian Murphy

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Autor/in
Julia Haungs
Julia Haungs, Autorin  und Redakteurin, SWR Kultur

Die Berlinale hat mit dem Wettbewerbsbeitrag „Small Things Like These“ die 74. Ausgabe des Festivals eröffnet. Im Film mit Oppenheimer-Star Cillian Murphy geht es um die Magdalenen-Wäschereien in Irland. In diesen Anstalten der katholischen Kirche wurden junge ledige Mütter ausgebeutet und misshandelt. Ein schwergewichtiger Auftakt für ein Festival in politisch aufgeladenen Zeiten.

Lichterkette für die Demokratie

Auf dem Roten Teppich, wo sich im letzten Jahr noch Klima-Aktivisten festklebten, sind es in diesem Jahr die Schauspieler und Schauspielerinnen selbst, die protestieren, und zwar für die Demokratie, gegen Angriffe von Rechts.

Berlinale Eröffnung
Filmschaffende demonstrieren am Eröffnungsabend der Berlinale auf dem Roten Teppich mit einer Lichterkette für die Demokratie.

Das unglückliche Lavieren der Berlinale-Leitung, die fünf Abgeordnete der AFD erst zur Eröffnungsgala ein- und dann wieder auslud, ist auch Thema, bevor der Film beginnt.

Forderung nach Solidarität und Menschlichkeit in finsteren Zeiten

Kulturstaatsministerin Claudia Roth geht im Schnelldurchlauf die Krisen der Welt von der Ukraine über den Iran bis zum Krieg in Nahost durch.

Berlinale Eröffnung
Roth fordert unter großem Applaus Solidarität und Menschlichkeit in finsteren Zeiten.

Um diese Werte geht es dann auch im Eröffnungsfilm, der anders als in den Vorjahren, zugleich ein regulärer Wettbewerbsbeitrag ist.

Harte Kost aus Irland zur Eröffnung

„Small Things like these“ spielt in einer kleinen Stadt im bitterarmen Irland der 80er Jahre. Kaum wissen die Menschen, wovon sie die Geschenke für das bevorstehende Weihnachtfest bezahlen sollen.

Auch der Kohlenhändler Bill Furlong hat nicht viel, aber immerhin kann er sich, seine Frau und die fünf Töchter von seiner Arbeit ernähren. Einer seiner besten Kunden ist das katholische Kloster der Stadt. Die Ordensschwestern betreiben unter anderem ein Heim für „gefallene Mädchen“.

Filmstill_ Impressionen Berlinale 2024
„Small Things Like These“ von Tim Mielants spielt in der Weihnachtszeit 1985. Der Kohlenhändler Bill Furlong (Cillian Murphy) entdeckt grausame Geheimnisse im Kloster seiner Stadt.

Hierher verbannen Familien ihre schwangeren Töchter, denn unverheiratet ein Kind zu bekommen, gilt im streng katholischen Irland auch 1985 noch als Schande. Als Furlong mitbekommt, dass die jungen Frauen im Kloster misshandelt werden, spürt er das Bedürfnis zu helfen.

Doch seine Umgebung warnt ihn davor, sich mit den mächtigen Nonnen anzulegen. Auch er selbst fühlt sich in Gegenwart der eisigen Oberin eingeschüchtert.

Besonders düsteres Kapitel in der Geschichte der katholischen Kirche

Die Geschichte der Magdalenen-Wäschereien ist ein besonders düsteres Kapitel in der Geschichte der katholischen Kirche. Nach Schätzungen von Wissenschaftlern wurden zwischen den 1820er Jahren und 1996 in Irland bis zu 30.000 junge Frauen in solchen Anstalten festgehalten.

Die unbarmherzigen Schwestern
Von den skandalösen Zuständen in diesen Heimen erzählte schon 2002 der preisgekrönte Film „Die unbarmherzigen Schwestern“. Er spielt in den 60er Jahren.

Die Babys nahm man ihnen nach der Geburt weg. Sie selbst wurden in der hauseigenen Wäscherei als unbezahlte Arbeitskräfte ausgebeutet und misshandelt.

Auch „Small Things Like These“ fühlt sich oft an, als würde man einer Geschichte aus dieser Zeit zusehen. Offenbar hat sich am System des Machtmissbrauchs über die Jahrzehnte wenig verändert.

Berlinale Eröffnung: Regisseur Tim Mielants
Regisseur Tim Mielants zeigt das Elend der Insassinnen allerdings nur von außen, als kurze Einblicke, die Furlong erhaschen kann.

„Openheimer“-Star Cillian Murphy glänzt auch in „Small Things like these“

Wie die gleichnamige Literaturvorlage von Claire Keegan konzentriert sich das Drehbuch von Enda Walsh auf die innere Entwicklung der Hauptfigur. Ein großartiger Cillian Murphy spielt Furlong als schweigsamen, durch und durch anständigen Mann.

Filmstill
Bekannt aus „Peaky Blinders“ oder „Oppenheimer“: Cillian Murphy.

Einer, der es nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren kann, wegzusehen. Mielants setzt diesen Prozess der inneren Emanzipation geradlinig und unaufgeregt in Szene. „Small Things Like These“ ist eine Geschichte über Mut, der aus Empathie geboren wird.

 Politische Botschaften im Kinosessel zu beklatschen reicht nicht

Mit diesem humanistischen Film zum Auftakt setzt die Berlinale, die sich so gerne als politisches Festival versteht, ein Zeichen.

Es ist eine Aufforderung, politische Botschaften nicht nur wohlgefällig im Kinosessel zu beklatschen, sondern im Alltag Menschlichkeit zu zeigen und gegen Ungerechtigkeiten aufzustehen.

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