Der iranische Film „Critical Zone" zeigt eine junge Generation, die ihr Land nur von Drogen benebelt ertragen kann. Heimlich gedreht vor den Protesten in Iran, spürt Regisseur Ali Ahmadzadeh der Resignation und der Einsamkeit eines jungen Mannes nach, der das nächtliche Teheran mit Drogen versorgt. In Locarno gewann der Film letztes Jahr den Goldenen Leoparden.
Der einsamste Mensch der Welt
Der junge Drogendealer Amir ist gefühlt der einsamste Mensch der Welt. Die einzige emotionale Bindung in seinem Leben ist die zu seinem Hund. Die einzige Stimme, die zu ihm spricht, ist für den Großteil des Films das Navi, das ihn bei seiner Fahrt durch das nächtliche Teheran leitet. In der Art eines Dokumentarfilms folgt „Critical Zone“ seinem in sich gekehrten Protagonisten durch die Nacht.
Distanziert beobachtet die Kamera, wie er in einem Tunnel zusammen mit vielen anderen jungen Männern die Drogen erhält, sie zu Hause mit routinierten Handgriffen abpackt und über die Nacht verteilt. Dabei hat Amir nichts von einem Kleinkriminellen. Bei seinen Begegnungen mit den Kunden erscheint der bärtige Mann mit dem unbewegten Gesicht wie eine Mischung aus Heiler, Seelsorger und Pate.
Drehende Bilder erzeugen Orientierungslosigkeit
Zu den erstaunlichsten Begegnungen dieser Nacht gehört eine im Altersheim, wo er die Bewohner liebevoll mit selbst gebackenem Haschgebäck füttert. Später behandelt er auf Bitte einer Mutter deren drogenkranken Sohn. Danach teilt er kostenlose Joints an abgerissene Nachtgestalten aus, die ihm dafür ehrerbietig die Hand küssen.
Auch Amir selbst raucht einen Joint nach dem anderen. Das Gefühl von Orientierungslosigkeit verstärkt die Kamera durch sich drehende Bilder, die dem Zuschauer förmlich den Boden unter den Füßen wegziehen.
Eine ganze Generation erträgt das Leben nur zugedröhnt
Regisseur Ali Ahmadzadeh spürt in „Critical Zone“ dem Lebensgefühl einer verlorenen Generation nach, die ihr eigenes Land nur zugedröhnt ertragen kann. Resignation und Müdigkeit liegen über dem melancholischen Film.
Dass es unter der Oberfläche brodelt, bricht sich nur in einer Szene erruptiv Bahn. Ein surreal anmutender Ausbruch von Gewalt unterbricht den ansonsten betont ruhigen Erzählfluss. Als die Gefahr vorüber ist, hängt sich eine junge Frau in Amirs Auto mit flatterndem Haar aus dem Fenster und schreit sich - stellvertretend für eine ganze Generation - ihre Wut über die eigene Unterdrückung und Perspektivlosigkeit aus dem Leib.
Schwierige Rahmenbedingungen für den Dreh
Die Szene scheint die Proteste in Iran vorwegzunehmen. Denn entstanden ist der Film, bevor sie begannen. Heimlich, mit Hilfe versteckter Kameras, gefälschter Genehmigungen oder Bestechung der Behörden drehte Ali Ahmadzadeh „Critical Zone“, immer in der Gefahr, verhaftet zu werden.
Weil die Rahmenbedingungen schwierig und Geld knapp war, drehte er ihn wie eine Abfolge einzelner Kurzfilme und setzte diese zu einem Ganzen zusammen. So kommt der Film zu seinem losen episodischen Charakter, der aber gut die Vereinzelung der Hauptfigur unterstreicht.
Ein fahrendes Auto als Schutzraum
Es ist schon fast eine Tradition des kritischen iranischen Kinos, dass viele Szenen im Auto spielen. Denn in diesem Schutzraum lässt es einigermaßen unaufwändig und unauffällig filmen. In „Critical Zone“ ist es zugleich die Chance, in gleitenden Fahrten die Schattenwelt des nächtlichen Teherans zu erkunden: jene minimalen Freiräume abseits der staatlichen Überwachung.
Am Ende der nächtlichen Fahrt meldet Amirs Navi „Ziel erreicht“. Eine letzte bittere Ironie, wenn man daran denkt, in welch hoffnungsloser Situation sich die Jugend in Iran befindet.
Trailer „Critical Zone“, ab 7.11. im KIno
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