„Alter weißer Mann“ ist zum Inbegriff all dessen geworden, was heute zurecht als toxisch gilt: Sexismus, Rassismus, Blindheit für die eigenen Privilegien. Die gleichnamige Komödie von Simon Verhoeven wirft sich furchtlos in die streitbesetzten Gegenwartsdiskurse vom Genderstern über sexuelle Identitäten bis zu Rassismus – glänzend gespielt von einem Ensemble alter weißer Männer um Jan Josef Liefers, Friedrich von Thun und Michael Maertens.
Mit Lendenschurz bekleidet durch die Weiten der Prärie
In seinen Träumen galoppiert Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) nur mit einem Lendenschurz bekleidet durch die Weiten der Prärie. In seinem Arbeitsalltag sieht sich der langgediente Leiter der Marketingabteilung dagegen in zahlreichen Zwängen gefangen. Sei Chef will die altbackene Fernfunken AG zeitgeistfest machen. Also dürfen die Vorgesetzten nicht mehr laut werden, in Briefen muss gegendert werden und die Werbefamilie soll weniger weiß erscheinen.
Jan-Josef Liefers als Problembär der Firma
Jan Josef Liefers porträtiert Heinz Hellmich als den Problembären der Firma, der einfach nicht mehr mitkommt bei all den Sprachregelungen, sexuellen Identitäten und diskriminierungsfreien Formen des sozialen Miteinanders. Obwohl er alles richtig machen will, stolpert er von einem Fettnäpfchen ins nächste. Und jetzt muss er auch noch zu Hause ein Abendessen veranstalten. In geselliger Runde soll er seinem Chef und der Unternehmensberaterin beweisen, dass er der richtige Kandidat für die Beförderung in den Vorstand ist.
Culture Clash beim Dinner
Auf dieses Abendessen lässt Regisseur Simon Verhoeven den ganzen Film zulaufen, um dort die verschiedenen Fronten gegeneinander in Stellung zu bringen: auf der einen Seite die jungen Woken, die in jeder Bemerkung Rassismus, Sexismus oder kulturelle Aneignung wittern, auf der anderen Seite die mehr oder weniger veränderungsunwilligen Alten der „Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen“-Fraktion. Wie schon in seiner Flüchtlingskomödie „Willkommen bei den Hartmanns“, fängt Verhoeven die überreizte gesellschaftliche Stimmung treffend ein.
Wie wollen wir sprechen?
Der Film teilt furchtlos Spitzen nach beiden Seiten aus. Gleichzeitig schlägt er aber einen versöhnlichen Ton an und plädiert für Entspannung zwischen den verhärteten Fronten: Er plädiert dafür, sich gegenseitig zuzuhören und gemeinsam eine neue Sprache zu finden, statt sich in Filterblasen immer weiter in die eigene Rechthaberei hineinzuschrauben. Die Diskussion darüber, wie wir sprechen wollen, bietet eigentlich schon reichlich Stoff.
Großartige alte weiße Männer im Ensemble
Doch Verhoeven schmeißt noch die Themen Selbstoptimierung, Künstliche Intelligenz und sexuelle Identitäten obendrauf. Und eine Vater-Tochter-Story gibt es auch noch. Dass der Film unter dieser Last nicht ächzend zusammenbricht, liegt auch am spielfreudigen Ensemble: allen voran die Riege der alten weißen Männer neben Jan-Josef Liefers, Fritz von Thun als renitenter Opa und Michael Maertens als opportunistischer Firmenchef.
„Alter weißer Mann“ ist, auch wenn der Titel das nicht vermuten lässt, eine warmherzige Komödie, die nicht vorgibt, alles besser zu wissen. Das ist in diesen empörungsbereiten Zeiten gar nicht mal so wenig.
Trailer „Alter weißer Mann“, ab 31.10. im Kino
Mehr Kinofilme in SWR Kultur
„Babylon Berlin“-Star spielt Widerstandskämpferin Widerstand aus Anstand: „In Liebe, Eure Hilde“ mit Liv Lisa Fries
„Babylon Berlin“-Star Liv Lisa Fries spielt die Rolle der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi. Ein zutiefst menschlicher Film über Anstand, Liebe und Zivilcourage.
Filmkritik Als Superman zum Pflegefall wurde – „Super/Man –The Christopher Reeve Story“
Die „Superman“-Figur ist untrennbar mit ihrem ersten Darsteller Christopher Reeve verbunden. Dessen Karriere endete jäh, als er 1995 nach einem Unfall vom Hals abwärts gelähmt war.
Wahnsinn zu zweit im Kino Die Rückkehr von Joker in Todd Philipps „Folie à Deux“: (Innen-)Ansichten eines Clowns
Mit „Joker 2: Folie à Deux“ kehrt Regisseur Todd Phillips zur einer der schillerndsten Figuren des Batman-Universums und einem der kontroversesten Film-Charaktere der letzten Jahre zurück. Ist das Publikum bereit für eine weitere Reise in die Abgründe der menschlichen Psyche?