Kampf um Mutterschaft und Freiheit

Eine Schwangere will ihr Kind zur Adoption freigeben: „Haltlos“ ist großartiges Independent-Kino

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland

Martha wird Mutter. Sie will das Kind nicht und gibt es zur Adoption frei, direkt nach der Geburt. Doch dann passiert etwas Unerhörtes: Martha will das Kind zurück – und kämpft dafür. Ein intensives und gnadenloses Drama mit der außergewöhnlichen Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg.

Martha läuft vor allem davon

Martha wird Mutter. Sie will das Kind nicht, denn der Vater ist mit einer anderen verheiratet und ihre eigene Verwandtschaft macht ihr auch nicht gerade Lust, Familienglück zu leben.

Filmstill
Martha (Lilith Stangenberg) hat eine Liebesaffäre mit dem verheirateten Sebastian (Samuel Schneider) und erwartet ein Kind von ihm, aber er will seine Ehefrau und seine kleine Familie auf keinen Fall verlassen. Bild in Detailansicht öffnen
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Martha entschließt sich, ihr Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben – eine Entscheidung, die sie in einen Strudel aus widerstreitenden Gefühlen zieht. Bild in Detailansicht öffnen
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Gegenüber ihrer starken, erfolgreichen Mutter und ihrer in scheinbar gesicherten Verhältnissen lebenden Schwester fühlt sie sich als dysfunktionale Außenseiterin. Bild in Detailansicht öffnen
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Auch in ihrem Beruf als Mitarbeiterin in der Musikbranche wird sie übergangen und ihre Ideen werden ausgenutzt. Bild in Detailansicht öffnen
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Lilith Stangenberg: „Ich begreife Marthas Weg als einen Opfergang: wo sie geschlagen wird, hält sie die andere Wange auch noch hin. Sie schafft es nicht, sich den Wertvorstellungen ihrer Umgebung anzupassen, sie ist auf der Suche nach wirklicher Nähe und in einer Gesellschaft, die mehr von sinnloser Beziehungslosigkeit und Heuchelei geprägt ist, ist ihre Antwort einsame Rebellion gegen die überfordernde, raue Sachlichkeit ihrer Zeit.“ Bild in Detailansicht öffnen
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„Marthas Suche, ihr Weg, ist ohne „Erlösung” oder „Ankommen” und das Ende ist nicht happy. Eher beschreibt ihre Geschichte einen Zustand von einer Mütterlichkeit und der Suche danach, was es heißt Mutter und Frau zu sein.“ (Lilith Stangenberg über ihre Rolle) Bild in Detailansicht öffnen
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„Und ich glaube, dass diese Reise keinen Zielbahnhof kennt, sondern eine ständige Begegnung und ein wiederkehrendes Hinterfragen ist: wer bin ich? Warum bin ich hier? Wer bist du? Bist du wirklich da? Bleibst du? Und auch die Frage: wie Leben entsteht. Wie Leben zerfällt.“ (Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg) Bild in Detailansicht öffnen

Martha lernen wir in den ersten Minuten des Films als Drifterin kennen: Eine junge Frau die immer vor irgendetwas – und sie weiß selber nicht vor was – davonläuft. Das aber entschlossen. Also gibt Martha das Kind zur Adoption frei, direkt nach der Geburt.

So weit eine schon oft gehörte Geschichte. Doch dann passiert etwas Unerhörtes: Martha will das Kind zurück. Und kämpft dafür.

Martha ist eine Hommage an Rainer Werner Fassbinder

Nicht zufällig heißt Martha wie eine der berühmtesten Frauenfiguren von Rainer Werner Fassbinder. Diese Martha ist eine junge Frau auf der Suche nach Halt und Anerkennung. Auf der Suche nach einer Form von Lebendigkeit und Reibung.

Ein sensibler Film über Mutterschaft

Sie hält die üblichen Formen von urbaner oberflächlicher Verbindlichkeit nicht gut aus. Dies ist ein sensibler Film über Mutterschaft.

Martha, eine junge Berliner Frau spürt plötzlich in sich ein sehr archaisches Gefühl: Das Mutter-sein. Es bricht sich Bahn. Martha erlebt ein Zurückgeworfenwerden auf die weibliche Biologie.

Faszinierend kaputte Figur

Die prinzipielle Frage nach Mütterlichkeit wird hier konkret. Das Publikum wird Zeuge eines steten inneren wie äußeren Taumelns der Hauptfigur. Eines Taumelns zwischen Verlust und Nähe, Verbindung und Trennung - einer inneren Achterbahnfahrt.

Dies ist aber auch der Film über eine Figur: Eine faszinierende kaputte Frau, die sich fremd in der Welt fühlt.

Sie beobachtet gern, ist aufrichtig, und kann mit ihrer direkten ehrlichen Art vielen auch auf die Nerven gehen. Sie ist verletzlich, und überspannt. Aber wo es um Intimität und körperliche Nähe geht, ist Martha in ihrem Element.

Filmstill
Martha entschließt sich, ihr Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben – eine Entscheidung, die sie in einen Strudel aus widerstreitenden Gefühlen zieht.

Lilith Stangenberg spielt diese Hauptfigur, die tatsächlich so haltlos ist, wie der Titel behauptet,  schwebend und wild zugleich.

Filmförderung und Senderbeteiligung fehlen bei diesem Film auf wohltuende Art

Was ist das also für ein Film? Entstanden ist "Haltlos" ohne Filmförderung und ohne Senderbeteiligung, und das merkt man dem Film an – zum Nachteil für all die anderen Filme, die durch viel zu viele Beteiligte und Menschen, die mitreden wollen zwar mehr Geld zur Verfügung haben, aber ihren Charakter verlieren.

Man muss diese Produktionsweise nicht verklären, aber "Haltlos" beweist, dass es in der Kunst am Ende darum geht, seinem Instinkt zu folgen, und einfach zu machen. Schnell zu machen, mutig zu machen.

Der bereits erwähnte Fassbinder hat so ein großes Werk geschaffen. Aber auch den Independent-Regisseur Klaus Lemke muss man nennen.

Lilith Stangenberg trägt den Film

In deren Fußstapfen gehen Kida Khodr Ramadan und seine Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg, die hier viel mehr ist, als das: Sie ist Co-Autorin, hat die Musik gemacht, vor allem trägt sie den Film. Ihre Figur Martha hat etwas Monströses. Sie ist aber auch idealisiert und ikonenhaft.

Trailer „Haltlos“, ab 24.10. im KIno

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Rüdiger Suchsland