Die Kehrseite von Wohlstand und Überfluss ist das, was übrigbleibt, der Abfall. Er gehört zum menschlichen Leben, nicht erst seit Beginn des Massenkonsums, sondern seit je. Davon handelt Roman Kösters Monografie „Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit“.
Die Wege der Menschen sind von Abfall gesäumt. Vor Urzeiten waren das abgenagte Knochen, Verdauungsprodukte, ein bisschen Asche, nichts von größerer Bedeutung. Später ging es vor allem darum, mit den Abfällen fertig zu werden, die das Leben in den Städten erzeugte.
Seit den 1950er Jahren jedoch ist im Hinblick auf die Vermehrung des Abfalls eine „welthistorische Epochengrenze“ überschritten worden, und der Müll hat sich von einer „Frage städtischer Sauberkeit in ein globales Umweltproblem“ verwandelt. Diese Entwicklung beschreibt Roman Köster in seiner großen Monografie „Müll. Eine schmutzige Geschichte der Menschheit.“
Müll als Stadtproblem
Wie war das in der Antike, im Mittelalter, in der Neuzeit, im Orient, im Okzident? Die Bewältigung des Abfalls war immer eine Aufgabe, mit der bis ins Zwanzigste Jahrhundert hinein vor allem die Städte fertig werden mussten. In den urbanen Ansiedlungen ballten sich nicht nur Menschen zusammen, es wurden Tiere gehalten, Gartenbau betrieben, zahllose gewerbliche Tätigkeiten wie die Färberei oder die Gerberei ausgeübt.
All das machte die Organisation der Abfallentsorgung unausweichlich. Menschliche und tierische Exkremente wurden dabei seit je als Düngemittel verwertet. Und natürlich wurden durch die Verarbeitung des Mülls auch soziale Grenzen gezogen. Teils war das eine spezialisierte Arbeit, teils aus der Not geboren, aber in jedem Fall das Metier von armen Leuten.
Eine faszinierende Globalgeschichte des Mülls
Roman Köster bietet, wie er selbst in seiner Einleitung formuliert, eine Globalgeschichte des Mülls, von der menschlichen Frühgeschichte bis heute. Das Literaturverzeichnis umfasst 35 Seiten, die Anmerkungen füllen 60 Seiten. Für Leser vom Fach ist das ein Gewinn, interessierte Laien dürften sich allerdings manchmal mehr Anschaulichkeit wünschen.
So springt die Darstellung zum Beispiel beim großen Fortschrittsthema Stadthygiene nicht selten innerhalb weniger Sätze vom revolutionären China ins Indien der Unabhängigkeit und dann wieder zeitlich zurück ins russische Zarenreich.
Dennoch hat Roman Köster hier eine riesige und bewundernswerte Arbeit geleistet, eine große Zusammenschau der vorhandenen Fachliteratur, gleichsam eine umfassende Metastudie, in der wohl kaum ein Aspekt der überaus vielschichtigen Thematik fehlen dürfte.
Der Müll wird global
Ganz neue Herausforderungen entstanden mit dem Massenkonsum, der in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg in Schwung kam. So bewirkte die Ausbreitung der Supermärkte eine eklatante Steigerung des Müllaufkommens.
Der Verschmutzung der Weltmeere mit Plastikmüll widmet der Autor ein eigenes, das letzte Kapitel, in dem er den Beginn dieses Elends datiert. Es sei der berühmte Forschungsreisende Thor Heyerdahl gewesen, der 1969 bei einer Kajakfahrt im Pazifik erstmals größere Mengen von schwimmendem Plastik beobachtet hat.
Handreichung für die Gegenwart
Es gibt auch eine Lehre, die der Historiker Köster aus seiner Geschichte des Mülls ableitet. Er sagt, entscheidend für das Müllaufkommen sei die gesamte Art des Wirtschaftens. Wenig hält er dagegen von der Erziehung der Verbraucher zum Zählen von Plastiktüten, mit der die Verantwortung auf jene abgeschoben wird, die den geringsten Einfluss ausüben können.
Das klingt sehr plausibel. Insofern liefert diese Globalgeschichte des Mülls nicht nur ein umfassendes Bild historischer Entwicklungen, sondern zugleich Handreichungen für die einschlägige Systemanalyse unserer Gegenwart.