Dass das Unheimliche nicht irgendwo in einem unbestimmten Dadraußen, sondern auch und gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft lauern kann, wissen wir schon lange und spätestens, seit es Stephen King gibt. Nun ist Kristine Bilkaus „Nebenan“ kein klassischer Horrorroman, doch der Schauer des Alltäglichen wird bei ihr auf das Feinste inszeniert.
Julia ist Ende dreißig und gemeinsam mit ihrem Mann Chris, einem Biologen, in einen namentlich nicht benannten Ort am Nord-Ostsee-Kanal gezogen. Sie hat einen Keramikladen eröffnet; von ihrem Fenster aus sieht sie die Containerschiffe vorbeiziehen. Eine schwebende Stimmung, von Anfang an.
Dann geschieht etwas: Plötzlich taucht ein unbekannter Junge vor dem Nachbarhaus auf, in dem unlängst noch eine Familie gewohnt hat, die aber plötzlich verschwunden ist. Das Kind hinterlässt unverständliche Botschaften, und Julia schwankt zwischen Neugier und schamhafter Sorge um die Menschen, die so hektisch aufbrachen. Die Übergänge von der Wirklichkeit zum Unwirklichen gestaltet Kristine Bilkau fließend, beinahe unmerklich.
Das gesamte Szenario ist das Symbol eines schleichenden Niedergangs. Wie ein klassisches Gruselkabinett lebt auch „Nebenan“ von Spiegelkonstellationen. So ist dem zugezogenen ein alteingesessenes Paar gegenübergestellt, deren Erzählstränge lange Zeit parallel laufen, sich aber an entscheidenden Punkten überschneiden.
Die Unheimlichkeit ist begründet in der Sehnsucht nach einer Welt ohne Brüche. Die ist aber nicht mehr zu haben. Unerfüllter Kinderwunsch, Strukturwandel, Politik – „Nebenan“ ist ein subtiler Roman, in dem gesellschaftliche Gegenwartsbezüge und Individuelles miteinander verwoben sind.