Keine einzige Künstlerin bei der legendären Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ 1925

Der späte Ruhm der Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit

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Autor/in
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt

Ein neues Frauenbild prägte die Kunst der Weimarer Republik. Aber die Frauen der „Neuen Sachlichkeit“ – die Künstlerinnen – führten lange ein Schattendasein und werden erst heute neu entdeckt.

Mit dem Ausstellungstitel „Die neue Sachlichkeit“ prägte die Kunsthalle Mannheim 1925 den Begriff einer ganzen Epoche. Ein beliebtes Sujet: Die Darstellung eines neuen Frauenbildes in der Weimarer Republik. Aber von den durchaus begabten Künstlerinnen der Zeit war keine einzige in der Ausstellung vertreten.

Neue Sachlichkeit als führende Kunstbewegung der Weimarer Republik

Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wendeten sich viele Künstler und Künstlerinnen in ihren Arbeiten sozialkritischen Themen zu. Die traumatischen Bilder des Krieges, Armut und gleichzeitig die sich verändernde Gesellschaft, die erste deutsche Demokratie, neue Rollenbilder – all das schlug sich in der Kunst nieder.

In der Anfangszeit konnten sich die Kunstschaffenden nahezu frei von Zensur entfalten. Die Neue Sachlichkeit prägte den Stil der Zwischenkriegsjahre maßgeblich.

Neue Rolle der Frau

Die Weimarer Republik hielt nur knapp 15 Jahre und war geprägt von wirtschaftlichen Krisen und politischer Instabilität – ein Zeitalter der Extreme. In der Weimarer Verfassung waren Frauen und Männer dem Gesetz nach gleichgestellt. Die Frauen durften ab 1919 wählen. Während des Krieges und danach mussten Frauen arbeiten, viele Männer waren tot oder nicht mehr erwerbsfähig. Ehepaare entfremdet.

Die Geschlechterverhältnisse hatten sich verändert, Stichwort Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Frauen wurden notgedrungen zu Mitgestalterinnen. Viele machten sich auch in der Kultur einen Namen und das neue Image der Frau: burschikos mit Bubikopf, Zigarette im Mund und frivol, provozierendem Ausdruck, wird immer wieder in der Kunst festgehalten.

Wandel der Rollenbilder nicht nachhaltig

Aber mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 und den sozialen Folgen verliert sich das schillernde Bild der „Neuen Frau“, die ebenbürtig ist. Wie wenig nachhaltig die scheinbare Emanzipation war, zeigt sich auch in der Tatsache, dass viele der Künstlerinnen aus der Weimarer Republik und der Neuen Sachlichkeit in den Folgejahren völlig in Vergessenheit gerieten und zum Teil erst Jahre später zu ihrem verdienten Ruhm kamen. Fünf Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit, die es sich zu entdecken lohnt:

Jeanne Mammen, 1890-1976

Eine von ihnen ist Jeanne Mammen, eigentlich Gertrud Johanna Louise. Heute zählt sie zu den bekanntesten Berliner Grafikerinnen und Malerinnen. In Berlin wurde sie 1890 geboren, wuchs aber in Paris auf. Mammen studierte Kunst an Privatschulen und Akademien in Paris, Rom oder Brüssel. Während der Zeit der Nationalsozialisten wurde ihr Werk als „entartet“ gebrandmarkt. Erst nach ihrem Tod 1976 entdeckte die Weltöffentlichkeit Jeanne Mammen wieder.

Mädchen in einem Klassenzimmer
„Die Pause“ (um 1929) von Jeanne Mammen ist in der Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit. Ein Jahrhundertjubiläum" in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.

Die Künstlerin tauchte in den wilden 1920er-Jahren in die zwielichtige Clubszene Berlins ein. Ihre Arbeiten mit besonderem Pinselstrich und Farben mit hohem Wiedererkennungswert zeigen die Neue Frau, die mondän und sogar queer sind. Aber es ist ist oft eine harte Welt, die Jeanne Mammen in ihren Werken festhält.

Die Künstlerin konnte, anders als viele andere Kunstschaffende, von ihren Illustrationen und Modezeichnungen leben. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aber wurde sie vom Kunstbetrieb ausgeschlossen. Trotzdem blieb sie in Deutschland und lebte sozusagen in künstlerischer Isolation.

Eine Frau steht vor einer Gruppe Zeichnungen
2017 zeigt die Berlinerische Galerie die nach eigenen Angaben umfangreichste Retrospektive von Jeanne Mammen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sie zwar immer wieder aus, aber sie scheute mehr und mehr die Öffentlichkeit. An ihre alten Erfolge konnte sie nicht mehr anknüpfen. Erst in den 1990er-Jahren erlebten ihre Werke eine Art Renaissance und es gab zahlreiche Ausstellungen mit ihren Arbeiten. Vor allem feministische Kreise entdeckten und erkundeten ihre Werke neu.

Frau geht an Bildern in einer Ausstellung vorbei
Das Bild „Die Schwester im Atelier“ (Öl auf Leinwand, um 1913) von Jeanne Mammen (rechts) war 2015 in der Kunsthalle in Bielefeld zu sehen. Die Schau hieß „Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen in Deutschland“.

Dörte Clara Wolff (Dodo), 1907-1998

Auch die Künstlerin Dodo war ein Star der 1920er-Jahre, die trotzdem in Vergessenheit geriet. Sie war selbst eine Art It-Girl der Zeit; eine Frau, die die „Neue Frau“ selbst repräsentierte. In ihren Werken zeigt sie das schillernde Leben der sogenannten Goldenen Zwanziger. Ihre heiteren aber auch bitteren Bilder thematisieren das Leben in der Metropole, die Moderne oder das Verhältnis zwischen Mann und Frau.

Drei Bilder an einer weißen Wand
Bilder der Künstlerin Dörte Clara Wolff (Künstlername Dodo) bei einer Ausstellung im Kulturforum in Berlin 2012. Die erstmalige Präsentation des zeichnerischen Werkes von Dodo eröffnete Einblicke in ein künstlerisches Leben, das von stetigen Aufbrüchen und Brüchen geprägt war.

Dörte Clara Wolff kam aus einer wohlhabenden, jüdischen Berliner Familie. Sie wurde 1907 geboren und machte eine Ausbildung an der renommierten privaten Kunst- und Kunstgewerbeschule Reimann in Berlin. Später arbeitete sie als Modegrafikerin unter anderem für die Modezeitschrift Vogue oder gestaltete Bühnenkostüme.

Ab 1927 war sie Illustratorin bei Ulk, dem Illustrierten Wochenblatt für Humor und Satire. Die Gesellschaftsstudien, die sie hier veröffentlichte, sorgten für Aufsehen. Übrigens war auch Jeanne Mammen zu der Zeit bei der Satire-Zeitschrift tätig.

Frau vor petrolfarbener Wand mit Bildern
Farbintensive Genre-Szenen: Nachdem sich Künstlerin Dodo zunächst auf Modeillustrationen konzentrierte, zeigte sie Ende der 1920er-Jahre die mondän glamouröse Gesellschaft in Berlin.

1936 musste Dodo ins Exil nach London fliehen. Im Exil konnte die Künstlerin nicht mehr an die Berliner Erfolge anknüpfen, sie starb künstlerisch vergessen 1997 in London.

Elfriede Lohse-Wächtler, 1899-1940

Heute würde keiner mehr bestreiten, dass die Werke der Dresdner Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler ein eindrucksvolles Zeitzeugnis der Weimarer Republik sind. Auch wenn Experten sich darüber streiten, ob Lohse-Wächtler eine typische Vertreterin der Neuen Sachlichkeit ist: Oft wird sie dem Verismus, einer Strömung der Stilrichtung, zugeordnet.

Gemälde Frau in rotem Kleid mit Zigarettenspitze
Elfriede Lohse-Wächtler: „Lissy", 1931; Aquarell über Bleistift.

Aber Lohse-Wächtlers Geschichte ist ein besonders erschütterndes Beispiel für das Schicksal von Frauen in jener Zeit. Geboren wurde sie 1899, schon früh wurde ihre künstlerische Begabung erkannt. Ihre Eltern aber hatten keinen Sinn dafür und förderten sie nicht. Als Frau wurde sie nicht an der Kunstakademie zugelassen und schrieb sich schließlich auch an einer Kunstgewerbeschule ein.

Ihr Leben war von finanzieller Not geprägt. Sie verkaufte kaum Bilder. An der prekären Lage der Künstlerin ändere auch die Hochzeit mit dem Opernsänger und Otto-Dix-Freund Kurt Lohse 1921 nichts. 1926 trennten sie sich und die Künstlerin lebte weiter in ärmlichen Verhältnissen.

Frau mit roten Lippen und Zigarette in der Hand
Elfriede Lohse-Wächtlers „Selbstbildnis mit Zigarette“ von 1931 zeigt die 32-jährige Malerin zum Ende ihrer Zeit in Hamburg. Damals suchte sie Inspiration im Rotlichtmilieu von St. Pauli und setzte sich damit über bürgerliche Konventionen hinweg.

Nach einem Nervenzusammenbruch wurde Lohse-Wächtler in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Die verhängnisvolle Diagnose damals lautete auf „Schizophrenie“. Ihre Portraitreihe „Friedrichsberger Köpfe“ aus dieser Zeit dokumentiert schonungslos den Alltag in der Einrichtung und bedeutete Ironischerweise ihren künstlerischen Durchbruch.

Angeschnittene Skizze auf bräunlichem Papier
Ein Werk der Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler mit dem Arbeitstitel Verschatteter Frauenkopf.

1940 wurde die Künstlerin von den Nationalsozialisten im Rahmen des sogenannten „Euthanasieprogramms“ ermordet. Elfriede Lohse-Wächtler, die immer irgendwie ein Leben am Rande der Gesellschaft führen musste, wird vergessen, bis ihr künstlerisches Werk in den 1980er-Jahren wiederentdeckt und in Ausstellungen und Veröffentlichungen gewürdigt wird.

Hannah Höch, 1889-1978

Eine Künstlerin mit einer deutlich anderen Biografie ist Hannah Höch. Eigentlich gilt sie als einzige Frau im Männerclub der Berliner Dada-Bewegung. Aber auch sie wagte stilistische Ausflüge in die Neue Sachlichkeit. Obwohl Höch eine der Frauen ist, die die Kunst zu der Zeit maßgeblich mitprägte und sie große Erfolge feierte, ist ihr Name heute nicht mehr in aller Munde wie der ihrer Kollegen Marcel Duchamp oder Hans Arp.

Eine Frau steht im Profil vor einem Bild.
Eine Frau steht vor einem Selbstportrait der Künstlerin Hannah Höch aus dem Jahr 1917. Die Künstlerin wurde 1889 in Gotha geboren.

Spannend allein, dass Höch keinen Unterschied machte, zwischen Fotomontagen oder Malerei, zwischen abstrakter oder figürlicher Kunst. Und auch ihr Thema waren weibliche Rollenmuster.

Während den Weltkriegen erhielt sie viel Aufmerksamkeit, dann in der Zeit der Nationalsozialisten wurde auch sie mit einem Ausstellungsverbot belegt. Und obwohl die sogenannte „Erfinderin der Collage“ direkt nach dem Krieg wieder ihre Werke zeigte und sich künstlerisch zum Beispiel in der Malerei neu erfand, ging Hannah Höch nicht so prominent in die Geschichtsschreibung ein, wie ihre männlichen Avantgarde Kollegen.

Ein Selbstportrait an einer roten Wand
Eine Frau betrachtet ein Selbstporträt der Künstlerin Hannah Höch aus dem Jahr 1937.

Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass ihr damaliger Lebensgefährte Raoul Hausmann später behauptete, Höch sei nie Mitglied im Dada-Club gewesen. Höch wird aus der Kunstgeschichte einfach für viele Jahre herausgestrichen.

Anita Rée, 1885-1933

Auch die Hamburger Künstlerin Anita Rée feierte große Erfolge mit ihrer Kunst. Sie wurde 1884 in eine jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren und erhielt Privatunterricht, weil auch sie als Frau nicht studieren durfte. Besonders einprägsam sind bis heute ihre Selbstbildnisse. Bis die Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren begannen, sie als „jüdische Malerin“ zu diffamieren.

Mann steht vor einem Selbstbildnis
Die umfassende Museumsausstellung zu der Hamburger Malerin Anita Rée rückte die vergessene Künstlerin 2017 in ein ganz neues Licht.

Die Künstlerin zog nach Sylt zurück und die Dünenlandschaft inspirierte sie zu unheimlichen Zeichnungen von Schafen, die im Nebel stehen. Anita Rée setzten die Anfeindungen aber auch damit verbundene persönliche Enttäuschungen schwer zu. Sie vereinsamte und nahm sich 1933 mit nur 47 Jahren das Leben.

Auch sie geriet in Vergessenheit. Wenn man sich an sie erinnerte, dann wurde sie in die Schublade „Opfer der Nationalsozialisten“ gesteckt, ihre Begabung trat in den Hintergrund. Erst eine große Retrospektive in Hamburg rückte 2017 die Vielfalt, das Können der Künstlerin Anita Rée und die Aussagekraft ihrer Bilder wieder in den Fokus.

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Kunstgeschichte männlich dominiert

Dass die Frauen als Sujet in der Neuen Sachlichkeit so gefragt waren, die Künstlerinnen, die maßgebliche Beiträge lieferten aber vergessen, übergangen oder systematisch ausgespart wurden, lag sicher zu einem großen Teil an der männlich geprägten Kunstgeschichtsschreibung.

Ihre Wiederentdeckung ermöglicht noch einmal eine andere Perspektive auf die Zeit und die Kunstwelt und sie zeigen, wie relativ unser Blick auf Geschichte zum Teil sein kann.

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