Elsa von Freytag-Loringhoven posiert in dadaistischem Kostüm für den Fotografen (schwarz-weiß)

Dadaistinnen im Arp-Museum Remagen

New Yorks deutsche Dada-Baroness: Wie Elsa von Freytag-Loringhoven die Kunst neu erschuf

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Autor/in
Carolin Baumgart
Carolin Baumgart

Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven gilt im New York der 1920er-Jahre als Königin des Dada. Sie erschafft die Performance-Kunst, kreiert Kunst aus Müll und schreibt obszöne Gedichte. Das Arp-Museum stellt in einer aktuellen Ausstellung die Baroness und andere bedeutende dadaistische Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts ins Rampenlicht.

Mit Körper und Geist provozieren

Stellen Sie sich mal vor, Ihnen kommt auf der Fifth Avenue in New York eine Dame entgegen, deren Kleidung voll mit Skulpturen als Accessoires ist, die dazu ein peitschenartiges Objekt um die Hüfte trägt, wie ein Cowboy-Colt, ein Vogelhaus auf dem Kopf und mit einem BH aus klappernden Tomatendosen gekleidet. Was würden Sie denken? Eine Verrückte, die nicht weiß, was sie da macht und trägt! Oder doch eine Künstlerin, die sehr wohl weiß, wie sie sich inszeniert?

Elsa von Freytag-Loringhoven heißt die Dame. Zu ihrem Auftreten sagt sie Folgendes:

Meine Ausdrucksform ist der Protest gegen alles Konventionelle.

Mit ihren spektakulären Selbstinszenierungen veralbert sie sämtliche Kunstideen der Bourgeoisie und provoziert das alte New York. Zugleich ist sie ein Vorbild und eine Vorreiterin für viele Kunstschaffende – vor allem für die heutigen Performance-Künstler*innen wie Rebecca Horn, Marina Abramović und Yoko Ono. Aber auch Ernest Hemingway, Andy Warhol und Peggy Guggenheim ließen sich durch die Performance-Künstlerin, Lyrikerin und Malerin inspirieren.

Elsa rebelliert gegen das bürgerliche Elternhaus

Geboren 1874 als Elsa Hildegard Plötz im preußischen Ostseebad Swinemünde, besucht sie als Kind die höhere Töchterschule. Sie bringt alles andere als gute Noten mit nach Hause, dafür aber Gedichte, die ihren obszönen Humor durchblitzen lassen.

An der Königlich-Preußischen Kunstschule in Berlin studiert sie Kunst – gegen den Willen ihres Vaters Adolf Julius, aber mit der Unterstützung ihrer Mutter, der Pianistin Ida-Marie Plötz. Als ihre Mutter an Krebs stirbt und ihr Vater die bürgerlich-konservative Berta Schulz heiratet, beginnt die Rebellion der Tochter und damit ihr Aufstieg in die Kunstszene.

Die Kunst und die Männer

Elsa von Freytag-Loringhoven und der jamaikanisch-amerikanische Dichter Claude McKay in Kostümen (schwarz-weiß)
Viele Künstler*innen wie der Dichter Claude McKay ließen sich von Elsa von Freytag-Loringhoven und ihren künstlerischen Ideen mitreißen und inspirieren.

Während ihres Studiums in Berlin taucht Elsa in die Welt der Künstler*innen und Varietés ein und nimmt erfolgreich Schauspielunterricht. Am Berliner Central-Theater wird sie Revuegirl und in Cottbus steht sie als Marquisin de Mondecar in Schillers „Don Karlos“ auf der Bühne. Sie steht Modell und posiert nackt, neben ihrem künstlerischen Wirken tobt sie sich auch sexuell aus, hat eine Affäre nach der nächsten und ist ihren drei Ehemännern nie ganz treu.

Elsa von Freytag-Loringhoven im Badeanzug mit Feder auf dem Kopf
Dada-Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven steht wie keine andere für die DADA-Frauen des 20. Jahrhunderts.

Nach zwei gescheiterten Ehen zieht es die extrovertierte Künstlerin 1912 nach New York City, wo sie Ehemann Nummer drei, den preußischen Offizierssohn Leopold Baron von Freytag-Loringhoven kennen und lieben lernt. Mit dieser Hochzeit wird Elsa zur Bigamistin, denn von ihrem Ehemann Nummer zwei wurde sie nie geschieden – für sie aber weiter kein Problem.

Als Ehemann Nummer drei mit all ihrem Erspartem in den Ersten Weltkrieg zieht, lässt sie sich nicht unterkriegen und arbeitet als Modell und Dichterin. In dieser Zeit entwirft sie exzentrische Kostüme, die sie auf den Straßen New Yorks vorführt. Oft sind es Alltagsgegenstände wie Gardinenstangen, Karotten, Briefmarken oder Zelluloidringe, die sie dafür verwendet und zum Gesamtkunstwerk arrangiert.

"God" von Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven und Morton Schamberg, 1917, Gelatine-Silberprint, 24.1 x 19.2 cm
Ein typisches Kunstwerk des amerikanischen Dadaismus: Ein Abflussrohr wird als Kunstwerk deklariert – ein sogenanntes Readymade von Elsa von Freytag-Loringhoven und Morton Schamberg.

Von der Baroness zur Dadaistin

Mit ihrem wilden und provozierenden Auftreten bleibt sie nicht lange unentdeckt: Die amerikanische Presse berichtet mehrfach über sie und die Kunstwelt blickt fasziniert auf die mutige Künstlerin und krönt sie schließlich zur „Dada-Baroness von New York“. Ihre Anti-Kunst, Happenings und Performances sind ein Protest gegen die politischen, moralischen und künstlerischen Werte und Konventionen zur Zeit des Ersten Weltkrieges.

Elsa von Freytag-Loringhoven ist die erste Künstlerin, die aus Müll Kunst macht. Weit, bevor Andy Warhol die Konservendose als Kunstwerk deklariert und sie salonfähig macht und bevor der französisch-amerikanische Begründer der Konzeptkunst Marcel Duchamp in New York seine Readymades präsentiert. Eine Zeit lang wohnt Elsa im selben Haus wie Duchamp. Sie freunden sich an und führen intensive Gespräche über die Kunst.

Der Dadaist Marcel Duchamp vor einem seiner Kunstwerke (Schwarz-weiß-Aufnahme von 1952)
Der französisch-amerikanische Mitbegründer der Konzeptkunst Marcel Duchamp ist einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Er zählt zu den Wegbereitern des Dadaismus und Surrealismus.

Wer hat’s erfunden? Das berühmteste Pissoir „Fountain“

In diesem Zuge entsteht die Idee, ein Urinal mit dem Titel „Fountain“ und Signatur als Kunstwerk bei der Ausstellung der Society of Independent Artists im New Yorker Grand Central Palace einzureichen – die damals größte Kunstschau New Yorks.

Doch das Objekt wird nicht ausgestellt. Es beginnt eine hitzige Debatte darüber, was Kunst ist und was nicht. Mitorganisator Marcel Duchamp tritt unter Protest aus der Society aus und erachtet das Nicht-Ausstellen als einen Verrat an den Grundsätzen dieser Künstlergesellschaft.

"Fountain", ein weißes Prozellan-Urinal mit Signatur, angeblich gefertigt von Marcel Duchamp.
„Fountain“ heißt dieses weltberühmte Kunstobjekt mit der Signatur R. Mutt von 1917. Bis heute ist unklar, ob die Urheberschaft des Pissoirs dem Konzeptkünstler Marcel Duchamp oder der deutschen Avantgardistin Elsa von Freytag-Loringhoven zugeschrieben werden kann.

In einem Brief an seine Schwester schreibt er über die Autorenschaft des Pissoir-Kunstwerks. „Eine meiner Freundinnen sandte unter dem Pseudonym Richard Mutt ein Urinal aus Porzellan als Skulptur ein.“ Man vermutet, dass es sich um Elsa von Freytag-Loringhoven handele – belegt ist es aber bis heute nicht. Später reklamiert Duchamp die Autorenschaft für sich und wird unter anderem mit diesem Kunstobjekt zu einem der einflussreichsten Künstler der Moderne.

Elsa von Freytag-Loringhoven äußert sich nicht zu dieser Thematik und zeigt auch kein Interesse daran. Sie schreibt und veröffentlicht weiterhin Gedichte. Die sind erotisch so aufgeladen und anstößig, dass sie teils zensiert werden. Einige erscheinen in der „Little Review“ und im Heft „New York Dada“, das von Marcel Duchamp und Man Ray herausgegeben wird. Ihre Gedichte sorgen für mehr Aufsehen als die zeitgleich veröffentlichte Prosa von James Joyce.

Elsa von Freytag-Loringhoven ist eine außergewöhnliche Künstlerin, die in ihrem Leben viel ge- und erschaffen hat. Sie lebt kompromisslos für die Kunst. Nach ihrem Tod, mit 53 Jahren, landet sie in der Reihe der Exzentrikerinnen und gerät so in Vergessenheit. Die Ausstellung im Arp-Museum Remagen bietet nun eine Möglichkeit, ihre Bedeutung für den Dadaismus neu zu betrachten.

Elsa von Freytag-Loringhoven, rauchend
Die exzentrische Künstlerin Elsa von Freytag-Loringhoven stand für Aufbruch, Explosivität und Skandale in der Dada-Bewegung.

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Sein Gedicht vom „großen Mondtreffen“ ist ein klangvolles Beispiel für die Kunst, mit Worten zu jonglieren, die Hans Arp virtuos beherrschte. Was er in seinem Gedicht formuliert, ist nichts, was wir mit dem realen Mond in Verbindung bringen. Stattdessen betreibt er eine kühne Akrobatik mit Mond-Wortspielen, er arbeitet ganz frei wie etwa ein Jongleur mit brennenden Fackeln, so als versuche er, wie weit er es mit Worten treiben könne. Dabei verletzt er nie die Syntax des Satzes und wirft nicht die Worte frei in den Raum. Arp ist kein Sprachzertrümmerer, sondern ein Sprachzauberer. Er belässt die Worte in ihren Satzzusammenhängen, aber er spielt mit dem Wort-Sinn, er verbindet die Worte in unvorhergesehener Weise miteinander.
Es ist viel Bewegung in diesem Text, in dem völlig neue Wortschöpfungen kurz auftauchen, nur um gleich wieder zu verschwinden und der nächsten Formulierung Platz zu machen. Was bleibt, ist allein das Wort Mond, das auf diese Weise ein ganz eigenes Leben bekommt.

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