Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt erstmals neu erworbene Fotografien aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Viele Künstler suchten nach dem Ersten Weltkrieg nach zeitgemäßen Darstellungsformen und revolutionierten mit der „Neuen Sachlichkeit“ und dem Bauhaus die Kunstwelt. Die über 200 Originalabzüge der Staatsgalerie stammen aus der Sammlung Dietmar Siegert.
Spannende Werke unbekannter Fotografen neben großen Namen
Wer eine Kunstsammlung präsentiert, schiebt normalerweise die wertvollsten Stücke von bekannten Künstlern ganz nach vorn ins Rampenlicht. Insofern ist es ziemlich außergewöhnlich, womit die Staatsgalerie Stuttgart ihre neue Ausstellung über die jüngst erworbene Foto-Sammlung Siegert beginnt: mit einer Fotografie, deren Urheber unbekannt ist.
„Was die Sammlung von Dietmar Siegert auszeichnet, sind die großen Namen der Zwanziger und Dreißigerjahre, ob Renger-Patzsch, August Sander oder Moholy-Nagy“, erklärt Kurator Jens-Hennig Ullner, „aber es sind eben auch ganz viele spannende Werke von heute unbekannten Fotografinnen und Fotografen darunter, die in der Qualität den großen in nichts nachstehen.“
Der Münchner Sammler Dietmar Siegert hatte rund fünfzig Jahre lang Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts zusammengetragen, war Produzent und Ausstatter von Filmen, darunter in den 1970er-Jahren auch für Luchino Visconti in Rom.
Dabei stieß er eher zufällig auf die Fotografie als Sammelgegenstand, berichtet Ullner: „Für die Ausstattung eines Filmes besorgte sich Siegert Fotografien aus dem 19. Jahrhundert. Die fand er für kleines Geld, ein paar Lira, in Läden in Rom. Und diese Bilder haben seine Leidenschaft für das Medium Fotografie geweckt.“
Neue Sachlichkeit und Bauhaus
Die Stuttgarter Ausstellung konzentriert sich nun auf die Neue Sachlichkeit und das Bauhaus – Schwerpunkte des Sammlers Siegert. Dieses Material haben die Kuratoren nicht chronologisch angeordnet, sondern nach Themen wie Architektur, Stillleben, Experiment und Porträt.
Allein die Menschenbilder sind hinreißend und enorm vielfältig, vom Klassiker August Sander bis zu anonymen Schnappschüssen nächtlicher Parties am Bauhaus; oder dem Fotografie-Anarcho Umbo, der nach zwei Jahren vom Bauhaus wegen Unbelehrbarkeit verwiesen wurde. Zu sehen ist er hier im lässigen Selfie, auf dem Rücken liegend, den Schatten seiner Leica auf dem sonnenbebrillten Gesicht.
70 Arbeiten von Künstlerinnen
Trotz solcher leicht machomäßig angehauchter Posen hat die Stuttgarter Auswahl aber auch eine feministische Stoßrichtung, sagt Ko-Kuratorin Katharina Massing: „Wir konnten um die siebzig Arbeiten von Künstlerinnen erwerben, was für die Staatsgalerie Stuttgart extrem wichtig ist und auch einem unserer Sammlungsziele entspricht, nämlich weibliche Positionen innerhalb der Sammlung zu stärken.“
Queere Liebe in der Weimarer Republik
Das geschieht in gleich mehrfacher Weise durch die umfangreichste Serie der Ausstellung: ein Dutzend Aktaufnahmen von zwei sich liebkosenden Frauen mit 1920er-Jahre-Bubikopf, fotografiert von der zeitlebens unangepassten Germaine Krull.
Kurator Jens-Henning Ullner meint: „Germaine Krull zeigt, dass es diese queere Liebe in der Weimarer Republik gab, und dass sie insbesondere in Berlin ein großes Thema war; in einer Zeit, in der sich das alles sonst nur im Verborgenen abgespielt hat.“
Exilgeschichten zeigen das Ende der künstlerischen Moderne
Das Gegenteil der freien Liebe, die nackte Gewalt, die mit dem erzwungenen Ende der künstlerischen Moderne einherging, ist in der Stuttgarter Ausstellung als Fußnote ablesbar. In den Beschriftungen der Exponate finden sich neben deutschen Geburtsorten der Fotografen oft Sterbeorte im Exil, vielfach den USA. Dort spielt auch das überraschendste Kapitel dieser Ausstellung.
Diese Bilder sind nur deswegen in die Auswahl geraten, weil Dietmar Siegert ganz früh schon Fotos von Arthur Fellig alias Weegee kaufte. Mit Neuer Sachlichkeit hat dieser legendär rauhbeinige Street & Crime-Fotograf aus New York nun absolut gar nichts zu tun. Aber was soll's, großartige Bilder sind es allemal . Und das reicht ja, um sie zu sammeln.
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