Baden war früher ein Luxus, heute sind Bäder demokratische Orte. Eine Sonderaustellung im Haus der Geschichte widmet sich den Konflikten, die dort ausgetragen werden.
Es gibt sicher Stücke in der Ausstellung „Frei Schwimmen – Gemeinsam?!“, die spektakulärer sind, doch das Foto eines Tübinger Bads von 1868 erscheint aus heutiger Perspektive atemberaubend absurd. Man sieht den Neckar, am Ufer eine Reihe menschenhoher, geschlossener Bretterverschläge.
Dahinter sollten Frauen baden können. Kurator Sebastian Dörfler erklärt, wie das ablief:
Badeanstalt für Männer in Tübingen schon ab 1851
Wirklich schwimmen konnten die Frauen in diesem Freibad, in ihrem Bretterverschlag, nicht. Anders die Herren, die in Tübingen schon 1851 eine „Akademische Bade- und Schwimmanstalt“ bekommen hatten – mit Sprungturm und Liegewiese.
Ein Genuss, den sich manche Frau auch gern gegönnt hätte: Die Schriftstellerin Isolde Kurz wollte in den 1870er-Jahren ebenfalls das Freibad nutzen. In ihren Memoiren notierte sie, dass man Frauen das Nutzen von Freibädern versagte, weil es „die Fantasie der männlichen Jugend“ vergifte, „wenn vor ihnen Frauen in demselben Wasser waren.“
Schwimmen als Geschichte der Frauenemanzipation
Es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, ehe sich die Frauen ihren Platz in Schwimmhalle und Becken erobern konnten. Begünstigt durch ein neues Verständnis von Hygiene und sportlicher Ertüchtigung, entstand nach dem Ersten Weltkrieg in Mannheim die modernste und luxuriöseste Badeanstalt in Deutschland – für beide Geschlechter mit Dampfbad und Massageräumen.
„Das Schwimmen ist eine Geschichte der Frauenemanzipation“, meint Cornelia Hecht-Zeiler, Direktorin vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Man müsse sich immer wieder klar machen, dass diese Freiheiten erkämpft sind und verteidigt werden müssen. „Wie Freiheit generell.“
Der Streit um die angemessene Badekleidung
Wer wie bekleidet ins Wasser darf, ist bis heute heiß umstritten.
Unter den Ausstellungsstücken ist beispielsweise ein schwarzer „Burkini“, einen Ganzkörperbadeanzug für Muslima. „Eine Dame aus Konstanz hat ihn 2013 gekauft und wollte damit ins Schwaketenbad. Man hat sie nicht reingelassen", erklärt Kurator Sebastian Dörfler.
Man habe ihr vorgehalten, dass es die Badeordnung nicht erlaube. Andere Gäste könnten sich bedroht fühlen, wenn sie einen Burkini trage. „Zu verhüllt ist verboten, Oben-ohne-Baden ist aber auch wieder nicht recht.“ Es stelle sich immer wieder die Frage, so der Kurator: Wer legt das eigentlich fest?
Geschichte der Segregation in Bädern
Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung. Im 19. Jahrhundert war das Schwimmen vor allem eine Frage des Geldes. So erzählt eine imposante Messingwanne vom Glanz fürstlicher Mineralbäder in Bad Wildbad.
Die Nazis propagierten das Volksbad für Alle, schlossen gleichzeitig aber die jüdische Bevölkerung aus.
In den 1950er-Jahren entstanden in Konstanz und Radolfzell spezielle Versehrtenbäder, weil man die vom Krieg gezeichneten Körper nicht bloßstellen, aber auch nicht der Öffentlichkeit zumuten wollte.
Wer wird wie ausgeschlossen?
Und heute macht ein überzogener Körperkult das Schwimmen zum Spießrutenlauf für alle, die mit ihrer Figur nicht dem sportlich schlanken Ideal entsprechen. Schwimmbäder sind eben ein Spiegel der Gesellschaft, meint Museumsdirektorin:
In einer reduzierten, ästhetisch sehr gelungenen Inszenierung präsentiert sich diese neue Ausstellung. Der Ausstellungssaal, der sich in verschiedene Kapitel auffächert, ist in elegantes Schwarz gehüllt. Über die Decke kräuseln sich blaue Wasserlinien.
Wirklich überraschend Neues steckt jedoch nicht hinter der Botschaft dieser Ausstellung. Aber in Zeiten, in denen öffentliche Bäder aus Spargründen nicht mehr saniert und geschlossen werden, ist es umso wichtiger, an die Bedeutung dieses Kulturorts zu erinnern, an dem Gemeinschaft gelebt und ausgehalten werden muss.
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