Siegerin will 366 Bäume pflanzen

„Große Kunst für Stuttgart“: Stadtpalais zeigt die visionären Ideen des Wettbewerbs

Stand
Autor/in
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt

Die Stadt Stuttgart hat sich auf die Suche nach einem mutigen Statement durch Kunst im öffentlichen Raum gemacht. In einem internationalen Wettbewerb wurde nach einem Konzept für die Stadt gesucht, das „Große Kunst“ nach Stuttgart bringen soll. Die sieben Entwürfe sind jetzt in der gleichnamigen Ausstellung im Stadtpalais zu sehen.

Neues Kapitel der Stadt Stuttgart

Ob riesenhafte Samtwürmer, die über Stuttgarts verschlungene Autobrücken kriechen, ein Krater mitten auf dem zentralen Schlossplatz, an dem man entlang spazieren kann oder ein Hochbunker mit wechselvoller Geschichte, der an Kriege erinnert.

Sieben Kunstschaffende aus aller Welt hatten ganz unterschiedliche Visionen, wie „große Kunst“ für Stuttgart aussehen könnte. Dabei fiel Azad Raza aus New York auf: „Hier ist viel rauf und runter. Man schaut dauernd hoch zu den Hügeln, oder von oben runter auf die Stadt. Bei den ganzen Autos ist die Luft hier auch ein Thema.“ 

Monster Chetwynd: Installation, 2015
Monster Chetwynd: Installation, 2015.

Monster Chetwynd aus Großbritannien hingegen hat der Besuch in der Landeshauptstadt zu den XXL-Samtwürmern inspiriert: „Wie bringt man Kultur in die Öffentlichkeit, nicht aggressiv provokant, sondern einladend zum Gespräch.“

Mehr Platz zum Atmen

Künstlerin Anne Duk Hee Jordan aus Berlin erklärt: „Stuttgart fühlt sich für mich sehr eng an, sehr zugebaut. Stuttgart braucht mehr Grünflächen – mehr Platz zum Atmen“.

Anne Duk Hee Jordan: Swampy, Sexy, Dirty
Anne Duk Hee Jordan: Swampy, Sexy, Dirty - ein künstlerisch‐ökologisches Konzept, das die Natur in das urbane Zentrum Stuttgarts bringt. Es entsteht ein Ökosystem, das die Bewohner*innen mit der lokalen Fauna & Flora verbindet.

Lokale Themen und Verbindung zu Menschen

Thema, Standort und Laufzeit des Kunstwerks waren nicht vorgegeben. Die eingereichten Ideen waren vielfältig: Skulptur, Malerei, Installation, Objekt- oder Klangkunst – der rote Faden aber war: Die Werke sollten in enger Zusammenarbeit mit Menschen vor Ort entstehen und lokale Themen sollten eine Rolle spielen. 

Marc Gegenfurtner vom Kulturamt Stuttgart über die Idee hinter der Aktion: „Der erste Gedanke war, große Kunst für Stuttgart zu finden. Große Kunst, die international Aufmerksamkeit erregt, die aber auch in der Stadt tatsächlich wirkt und die Menschen zusammenbringt, ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt und auch für das Stadtmarketing Auswirkungen enthält.

Das war der Ursprungsgedanke, der politisch gesetzt wurde und den wir von der Kulturverwaltung dann aufgegriffen haben.“ 

Gewinnerprojekt stellt Kreislauf der Natur dar

Bis zu 1,5 Millionen Euro will die Stadt für das ambitionierte Projekt in die Hand nehmen. Gewonnen hat am Ende der Entwurf „The Green Fuse“ der schottischen Künstlerin Ruth Ewan:

Skizze aus dem Konzept von Ruth Ewan: The Green Fuse, 2024
Skizze aus dem Konzept von Ruth Ewan: The Green Fuse, 2024.

„Ich habe mich gefragt, was die Stadt ausmacht. Wie hier völlig unterschiedliche Menschen eine Art Gemeinschaft bilden können, in der man sich gegenseitig unterstützt. Wie ein Wald, wo jeder einzeln steht, aber alle zusammen ein großes Ganzes bilden.“

Sie entwirft eine Art botanische Großskulptur: 366 verschiedene Arten von Bäumen sollen je einen Tag des Jahres repräsentieren, plus extra Schaltjahrtag – wie eine Art Baumkalender.

Die Arbeit soll über die Zeit den Kreislauf der Natur sichtbar machen. „The Fuse“ ist außerdem ein Schutzort und Schattenspender für Mensch und Tier – in den immer heißeren Sommern in der Asphaltwüste.

In Zukunft brauchen wir mehr Grün, unsere ganze Umgebung muss grüner werden, denn wir müssen die Städte runterkühlen. Darüber hinaus ist es auch ein Projekt über die Zeit an sich, über die Zyklen unseres eigenen Lebens.

„Es ist einfach, Bäume nur als solche wahrzunehmen. Aber dann erkennt man wie individuell sie sind mit ihren Unterschieden, wie Menschen. Einzigartig. Selbst in der selben Baumart hat jeder einzelne seinen eigenen Charakter, seine Gestalt und Persönlichkeit.“

Künstlerin Ruth Ewan
Der Entwurf „The Green Fuse“ der schottischen Künstlerin Ruth Ewan hat das Projekt gewonnen.

„Bäume kommunizieren miteinander. Über unterirdische Pilzgeflechte. So tauschen sie auch Nahrung aus. Sie bilden eine eigenständige Gemeinschaft, wie Menschen, die sich gegenseitig unterstützen. So ist der Wald eine Metapher für die Stadt an sich“, sagt Ruth Ewan.  

Bevölkerung soll mit einbezogen werden

Die Stuttgarter Bevölkerung soll bei dem Projekt mitmachen: Im Stadtpalais können Vorschläge für Baumsorten und bestimmte kulturelle Gedenktage gemacht werden, die am Ende mit den Bäumen verknüpft werden.

In Bezug auf die Umsetzung hat sich die Stadt schon Gedanken gemacht, Marc Gegenfurtner:

„Das Großprojekt von Ruth Ewan ist tatsächlich auch deshalb groß, weil die Zusammenhänge groß sind. Weil wir gucken müssen, dass wir diese Idee zur Realität werden lassen.

Dass wir Verwaltung, Stadtentwicklung, all das zusammenbringen. Dass wird tatsächlich auch größere zeitliche Bögen benötigen, als wir vielleicht ursprünglich gedacht und erhofft hatten.“  

Lebensqualität der Stadt soll verbessert werden

Die große Vision: „The Green Fuse“ soll zu einer Art gemeinsamen Erinnerungsort heranwachsen und nebenbei noch die Lebensqualität in der Stadt erhöhen.

Es hängt also viel Hoffnung an diesen Bäumen, für Stuttgart und die Kunst im öffentlichen Raum – noch bevor überhaupt ein kleiner Setzling seinen Weg in die Erde gefunden hat.

 

Mehr Ausstellungen

Länderübergreifende Ausstellung zu Gast im schweizerischen Arbon „Heimspiel 2024“: Der Stoff, aus dem die Gegenwart besteht

Beim Ausstellungsprojekt „Heimspiel“ im Museum Thurgau zeigen die Arbeiten, dass das Haptische und Handwerkliche in der Kunst wieder eine Rolle spielt.

SWR Kultur am Mittag SWR Kultur

Moderne Stillleben in Waiblingen Ein Fest für die Augen – Galerie Stihl zeigt „Essen in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts“

Die Galerie Stihl in Waiblingen zeigt in der Ausstellung „Ein Fest für die Augen“ einen Querschnitt moderner Stillleben des 20. und 21. Jahrhunderts.

SWR Kultur am Mittag SWR Kultur

Ausstellung in Basel Kunst und Schaufenster: „Fresh Window“ im Museum Tinguely

Schaufenster und Kunst sind eng miteinander verbunden. Diese Beziehung thematisiert die Ausstellung „Fresh Window“ im Museum Tinguely in Basel.

SWR Kultur am Morgen SWR Kultur

Gespräch Anne Duk Hee Jordan: „Andere Ökosysteme sind viel wichtiger als wir“

Die  Künstlerin Anne Duk Hee Jordan erschafft in ihren Installationen hybride Welten, in denen menschliche und nicht-menschliche Wesen untrennbar miteinander verbunden sind.

Gespräch SWR Kultur