Fotoausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen

Von cool bis Drama – 100 Jahre Fotografie der Neuen Sachlichkeit in Mannheim

Stand
Autor/in
Andreas Langen
Andreas Langen, Autor und Redakteur, SWR Kultur

1925 erfand die legendäre Mannheimer Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit“ eine präzise Fotokunst ohne Kitsch und Pathos. Die Reiss-Engelhorn-Museen zeigen in der Ausstellung „Sachlich neu“ Werke der prägenden Fotografen August Sander und Albert Renger-Patzsch. Zugleich feiern sie den 100. Geburtstag von Robert Häusser, dem Mannheimer Fotografen des „Magischen Realismus'“.

Der Tenor Leonardo Aramesco wirft sich in Pose

Ende der 1920er Jahre posiert der Tenor Leonardo Aramesco im Studio des Fotografen August Sander. Theatralisch greift sich der Opernstar an die Pelzstola, furcht die Stirn und richtet einen dramatischen Blick in die Ferne - bis in die ondulierten Haarspitzen ein Inbild bürgerlicher Hochkultur, samt ihrer kitschigen Kulissen.

Der Tenor Leonardo Aramesco
August Sander: Der Tenor (Leonardo Aramesco), c. 1928.

Premiere des lange verschollenen Foto von Elvis Presley

Dieses heute unfreiwillig komisch wirkende Bild lässt die Mannheimer Ausstellung „Sachlich neu“ mit einem ganz anderen Sänger-Portrait kollidieren, das dreißig Jahre später entstand: Elvis Presley, wie man ihn kaum kennt - ganz nach innen gekehrt, auf einer dunklen Bühne am Klavier, 1958 in Mannheim fotografiert von Robert Häusser.

Elvis Presley, Mannheim, 1958
Robert Häusser: Elvis Presley, Mannheim, 1958.

 

Zentrale Kunst-Strömung der Moderne: „Neue Sachlichkeit“

Unter den 60.000 Negativen des Nachlasses von Robert Häusser fand Tochter Ina schließlich das lange verschollene Elvis-Bild. Die Premiere des Elvis-Porträts ist die erste und vordergründige Sensation dieser Ausstellung, die aber noch viel mehr zu bieten hat. Ihre drei Protagonisten August Sander, Albert Renger-Patzsch und Robert Häusser stehen für eine zentrale Kunst-Strömung der Moderne, die „Neue Sachlichkeit“.

Rheinlandschaft, Köln, 1938
August Sander: Rheinlandschaft, Köln, 1938. Bild in Detailansicht öffnen
Sekretärin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, 1931
August Sander: Sekretärin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, 1931. Bild in Detailansicht öffnen
Jungbauern, Westerwald, 1914
August Sander: Jungbauern, Westerwald, 1914. Bild in Detailansicht öffnen
Konditor, 1928
August Sander: Konditor, 1928. Bild in Detailansicht öffnen
Eisenbahnhafen mit Hebeturm, Duisburg-Ruhrort, 193233
Albert Renger-Patzsch: Eisenbahnhafen mit Hebeturm, Duisburg-Ruhrort, 1932/33. Bild in Detailansicht öffnen
Glasgießer am Ofen, nach 1936
Albert Renger-Patzsch: Glasgießer am Ofen, nach 1936. Bild in Detailansicht öffnen
Selbstbildnis Robert Häusser
Robert Häusser: Selbst, 1981. Bild in Detailansicht öffnen
Landfahrerkind, 1946
Robert Häusser: Landfahrerkind, 1946. Bild in Detailansicht öffnen
Oberkellner, 1963
Robert Häusser: Oberkellner, 1963. Bild in Detailansicht öffnen
Robert Häusser: Mes amis d‘Elzière
Robert Häusser: Mes amis d‘Elzière, 1966. Bild in Detailansicht öffnen

Die Genauigkeit der Fotografie wird zum Qualitätsmerkmal

Nach dem Ersten Weltkrieg stellten die Künstler die hehren Ideale des Bildungsbürgertums infrage und rückten das „Reale“ in den Fokus, so Kurator Claude Sui.

Die Genauigkeit der Fotografie, bis dato als mechanisch-seelenloses Verfahren geschmäht, wird jetzt zum Qualitätsmerkmal. Die Gründungsurkunde dieser Betrachtungsweise ist ein Buch von Albert Renger-Patzsch. Gegen den Willen des Fotografen wählte der Verleger den allzu naiven Titel „Die Welt ist schön“.

Zeche Katharina, Essen, 1957
Albert Renger-Patzsch: Zeche Katharina, Essen, 1957.

Claude Sui:„Dieses Buch wurde über Nacht zum Manifest der neuen Sachlichkeit, weil hier wurde zum allerersten Mal gezeigt, wie man das Medium Fotografie mit einer gebauten Ordnung, mit klaren Formen einsetzt.“

Industrie-Fotos von Renger-Patzsch für Nazis unverdächtig

Die Ausstellung zeigt das anhand von Industrie-Wahrzeichen wie Zechentürmen unter grauem Himmel – unverdächtig selbst in den Augen der Nazis, die Renger-Patzsch wohl weitgehend gewähren ließen, was für seinen Kollegen August Sander nicht galt.

Fördergerüst und Schachtanlage der Zeche Zollverein in Essen
Albert Renger-Patzsch: Zeche Zollverein, Schacht XII, Fördergerüst und Schachtanlage, Essen-Stoppenberg, 1932.

Druckstöcke von August Sander von den Nazis zerstört

Dessen unterkühlte Porträts verweigern jedes nationale Pathos. Deswegen zerstörten die Machthaber die Druckstöcke von Sanders Büchern, sein Sohn Erich starb als Regimegegner in Haft. Traumata wie diese sind in August Sanders Werk allenfalls zu ahnen, in Gestalt düsterer Landschaften.

Robert Häusser zeigt seine vom Krieg lädierten Seele

Der 1924 geborene Robert Häusser dagegen drückt seine Befindlichkeit ganz direkt aus. Kurz nach dem Krieg fotografiert er tote Baumstümpfe wie verkrüppelte Stellvertreter seiner von Krieg und Gewalt lädierten Seele.

Memento Mori wird zum Leitmotiv im Spätwerk von Häusser

Das Memento Mori wird zum Leitmotiv im Spätwerk von Häusser. Er inszeniert ein Selbstporträt als halbnackter Gefangener, und sein wohl berühmtestes Bild eines verhüllten Rennwagens wird zur prophetischen Sarg-Metapher, als der damalige Formel-Eins-Champion Jochen Rindt kurz nach Häussers Aufnahme in eben jenem Wagen tödlich verunglückt.

Verhülltes Fahrzeug, mit dem Formel-1-Legende Jochen Rindt beim Training in Monza in den Tod raste
Dieses Foto „J. R. 5-9-70” aus dem Jahr 1970 wurde Häussers bekanntestes Bild. Mit dem verhüllten Rennwagen, raste wenige Wochen später Formel-1-Legende Jochen Rindt beim Training in Monza in den Tod.

Die Mannheimer Ausstellung läuft auf diese Ikone zu, aber sie erschöpft sich eben nicht darin. Sondern lässt ihren Lokal-Matador in seiner ganzen fotografischen Vielfalt hochleben – ein passendes Präsent zum 100. Geburtstag! 

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