Bestseller-Verfilmung des Lily-Brett-Romans „Zu viele Männer“

„Treasure – Familie ist ein fremdes Land“: der Holocaust als transgenerationales Trauma

Stand
Autor/in
Julia Haungs

Zu den persönlichsten Geschichten von Bestseller-Autorin Lily Brett gehört ihr autobiographischer Roman „Zu viele Männer“. Darin erzählt sie, wie sich eine Mittdreißigerin mit ihrem Vater, einem Holocaust-Überlebenden, in Polen auf die Suche nach ihren jüdischen Wurzeln macht. Die deutsche Regisseurin Julia von Heinz hat ihr Buch unter dem Titel „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ verfilmt.

Komplizierter Vater-Tochter-Trip

Dieser Vater-Tochter-Trip in die Vergangenheit wird nicht einfach, das zeichnet sich schon in den ersten Minuten ab. Vater Edek weigert sich, in den von Ruth gebuchten Zug zu steigen. Lieber quatscht er am Flughafen einen Taxifahrer an, der sie die nächsten Tage herumkutschieren soll.

Und auch auf die verabredete Spurensuche im Łódź seiner Kindheit hat er plötzlich keine Lust mehr. Stattdessen schleppt er Ruth ins Chopin-Museum oder zum Warschauer Ghetto. Beziehungsweise zu der Stelle, wo es einmal stand.

Filmstill
Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs reist die New Yorker Musik-Journalistin Ruth Rothwax (Lena Dunham) nach Polen, um dem Vermächtnis ihrer jüdischen Familie auf den Grund zu gehen. Begleitet wird sie von ihrem Vater Edek (Stephen Fry). Für den Holocaust-Überlebenden Edek ist es die erste Reise zurück zu den Orten seiner Kindheit. Bild in Detailansicht öffnen
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Den gemeinsamen Flug nach Europa verpasst Edek, weil er urplötzlich seinen Hunger bei McDonald’s stillen muss. Ruth holt ihn am Flughafen von Warschau ab. Während die Tochter entschlossen ist, die Traumata ihrer Eltern besser zu verstehen, will der Vater die Vergangenheit ruhen lassen. Bild in Detailansicht öffnen
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Die geplante Reise durch Polen will Edek auf keinen Fall mit dem Zug antreten. Edek ist erstmals seit 50 Jahren wieder in Polen und kann nicht verstehen, warum seine Tochter die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besuchen will. „Welcher Jude besucht Polen als Tourist“, sagt er abschätzig. Wie so oft, fühlt sich Ruth kleingemacht von ihm. Bild in Detailansicht öffnen
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Aus Sorge um seine Tochter erklärt Edek sich nun doch bereit, mit Ruth nach Auschwitz zu fahren. Doch bevor es so weit ist, lenkt sich Edek ab und feiert ausgiebig, flirtet mit zwei älteren Damen und singt auf der Bühne mit einer Band: „Life is life…“ Bild in Detailansicht öffnen
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„Mich hat das Genre Dramedy angezogen. Das ist eine Kombination, die ich immer wieder reizvoll finde: Drama, das unterhaltsam ist und bei aller Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit die Leichtigkeit bewahrt; Komödie, die tieftraurige Anteile hat. Genau dafür stehen auch die Bücher von Lily Brett“, sagt Regisseurin Julia von Heinz. Bild in Detailansicht öffnen
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„Ich war 16 Jahre alt, als ich erstmals auf die Bücher von Lily Brett aufmerksam wurde. Zunächst las ich „Just Like That“. Meine Mutter hatte jedes Buch von ihr, das in Deutschland herauskam, gekauft. Im Regal nahmen ihre Romane bald eine ganze Reihe ein. Die Figurenkonstellation ist in Lily Bretts Büchern stets eine Vater-und-Tochter-Beziehung in unterschiedlichen Variationen.“ (Regisseurin Julia von Heinz) Bild in Detailansicht öffnen

Holocaust-Überlebender Edek will seine Vergangenheit vergessen

„Treasure“ spielt kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, im Jahr 1991. Noch erinnert keine einzige Gedenktafel an das Warschauer Ghetto. Und auch der Holocaust-Überlebende Edek will seine Vergangenheit am liebsten vergessen.

Zu groß ist der Schmerz, wenn er an die Vertreibung seiner Familie aus der Wohnung in Łódź denkt, an die Gefangenschaft in Auschwitz und die Angehörigen, die dort ermordet wurden. Nur widerwillig begleitet Edek Ruth zur KZ-Gedenkstätte.

Lena Dunham und Stephen Fry überzeugen als ungleiches Vater-Tochter-Gespann

Lena Dunham als überspannte Amerikanerin und Stephen Fry als lebenshungriger Exzentriker überzeugen als ungleiches Vater-Tochter-Gespann, das sich nach Nähe sehnt, aber seit Jahren aneinander vorbeiredet.

Fry stammt selbst aus einer Familie von Holocaustopfern und unternahm vor Jahren ebenfalls eine Spurensuche wie die in „Treasure“ gezeigte. Sein Schmerz bekommt dadurch etwas Autobiographisches. Er vermittelt überzeugend, warum es der Opfergeneration nahezu unmöglich ist, mit ihren Kindern über das Trauma des Holocaust zu sprechen.

Wie ein transgenerationales Trauma entsteht

Regisseurin Julia von Heinz erkundet mit ihrer Tragikomödie, wie verheerend sich dieses vermeintlich schützende Schweigen auf die nächste Generation auswirkt, wie ein transgenerationales Trauma entsteht. Als Ruth und Edek schließlich in dessen ehemaliger Familienwohnung den jetzigen Bewohnern gegenübersitzen, kann er sich der Macht der Erinnerungen nicht mehr entziehen.

Lily Bretts Romanvorlage wurde vorgeworfen, sie zeichne ein stereotypes, hasserfülltes Bild der Polen als raffgierige, verkommene Antisemiten. Die filmische Adaption „Treasure“ geht deutlich differenzierter vor. Die Kamera fängt triste Bilder eines vom Sozialismus völlig heruntergewirtschafteten Landes ein. Zudem trennt sich das Drehbuchduo Julia von Heinz und John Quester von den inneren Dialogen zwischen Ruth und dem Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß.

Konventionelle Dramaturgie scheitert an dem monströsen Schrecken des Holocaust

Der Film konzentriert sich ganz auf die Vater-Tochter-Geschichte. Diese erzählt er warmherzig, humorvoll und berührend, scheut sich aber, allzu tief in den Schmerz einzudringen. Mit melodramatischer Musik driftet „Treasure“ auch immer mal wieder ins Rührselige ab.

Die Tragikomödie lebt davon, wie sich Vater und Tochter aneinander abarbeiten. Den monströsen Schrecken des Holocaust kann sie mit ihrer konventionellen Dramaturgie aber nicht einfangen.

Trailer „Treasure- Familie ist ein fremdes Land“, ab 12.9. im Kino

TREASURE | Trailer deutsch | Ab 12.09. im Kino!

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