Eine Gruppe von maskierten Klimaaktivisten greift Holzfäller im Wald an. Eine von ihnen trägt eine Angela-Merkel-Maske. Was hat sie mit der Ex-Kanzlerin zu tun? Der Videokünstler Omer Fast entfaltet in seinem Film „Abendland“ ein surreales Spiel.
Wer ist Angela Merkel?
„Sie kennen mich!“ So lautete ihr sehr erfolgreiches Motto im Wahlkampf 2013 und tatsächlich war dieser Satz von Angela Merkel auch sehr wirkungsvoll. Vertrauen erweckend, auf den Wunsch nach Fortsetzung des Bestehenden setzend.
Zutreffend war er schon damals nicht, denn spätestens nach 2013 führten die politischen Umwälzungen im Zuge der Willkommenskultur, Pandemie und dem AfD-Aufstieg zur Einsicht: Wir kennen Angela Merkel nicht wirklich.
Projektionsfläche für alles und jedes
Im Film treffen sich zwei Angela Merkels im Wald, auch wenn die eine von ihnen „Angie“ heißt und die andere „Merkel“, auch wenn sich das, was wir von Merkel wissen, als Maskenspiel, als Charaktermaske entpuppt. Es ist eine der in den eindrucksvollen Bildern liegenden These dieses Films, dass es Angela Merkel nicht gibt.
Es gibt natürlich den Menschen und es gibt die öffentliche Person. Mehr als das aber vertritt oder entwickelt Omer Fast in seinem Film „Abendland“ die These, dass Angela Merkel eigentlich in Anführungsstrichen geschrieben werden muss, und dass diese „Angela Merkel“ eine Projektionsfläche für alles und jedes ist.
Flucht vor der Polizei in den Hambacher Forst
Vor der Polizei durch einen tiefen Wald, einen deutschen Märchenwald, fliehend wird sie in ein von der Zivilisation unabhängiges Dorf von Aktivisten entführt. Ein Dorf, das jenem „Hambi“ im Hambacher Forst zum Verwechseln ähnlich sieht: Baumhäuser wie bei Naturvölkern im brasilianischen Regenwald, Rituale wie in einem kalifornischen Esoterik-Zentrum der Hippies und ein Demokratieverständnis, wie aus der Steinzeit der Studentenbewegung Westdeutschlands.
Im Wald begegnet Merkel sich selbst
Die lustige Pointe ist, dass sich Angela Merkel im Wald irgendwann selber begegnet und ins Gesicht schaut. Das Spiegelstadium ist, wie wir aus der Psychoanalyse wissen, eine sehr frühe infantile Phase, an deren Ende so etwas wie eine Identitätsherausbildung steht. Sie erlebt Angel Merkel nun in diesem Film – ein knallig-schriller und doch subtiler Witz.
Weder Biopic noch Dokumentarfilm
Dabei ist „Abendland“ kein Film, schon gar kein Dokumentarfilm über Angela Merkel. Es ist vielmehr ein Spiel mit Referenzen und Verweisen, und der Zeichencharakter Angela Merkels ist in diesem Film ganz offenkundig: Denn eigentlich geht es es um zwei Menschen, die den ganzen Film über Masken tragen – wie überhaupt alle Menschen in diesem Film Masken tragen. Auch die Polizisten, bloß haben die ihre eigenen Masken.
Abgründe des politischen Aktivismus
Nüchtern erzählt, handelt dieser Film von zwei Frauen, die auf unterschiedliche Weise aktivistisch sind und von den Nachteilen, Abgründen und den vielen Brüchen des politischen Aktivismus. Man kann sich fragen, ob die These des Films nicht auch die ist, dass die Maske unser wahres Gesicht ist und dass ein Abnehmen der Maske uns gar nicht mehr möglich ist.
Anregender, aber auch diffuser Film
Es kann jedenfalls kein Zufall sein, dass dieser Film genau eine Woche nach Erscheinen von Angela Merkels Memoiren herauskommt. „Freiheit“ – das ist bei Angela Merkel ein Befund und eine Selbstverständlichkeit und eine Selbstbeschreibung, aber auch ein Zukunftsversprechen.
In diesem nicht-narrativen, experimentellen, sehr anregenden, aber auch etwas diffusen Film, ist Freiheit einerseits die künstlerische Freiheit des Regisseurs und Autoren Omer Fast und andererseits, wie bei Merkels Memoiren, ein Schreibfehler: Es müsste „Freizeit“ heißen.
Trailer „Abendland“, ab 5.12. im Kino
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