Großstadt-Hymnen gibt es zahlreiche im Kino: Über Paris, Berlin, Wien, New York, Tokio oder Hongkong. Jetzt kommt ein Film über die westindische Metropole Mumbai hinzu. Der Film spielt zum größten Teil nach Einbruch der Dunkelheit, wenn die Stadt im Neonlicht ein zweites Mal erwacht.
Moderne Großstadtsymphonie
Alles beginnt als eine meditative und beobachtende, ruhige Erkundung der Zufälle und Feinheiten des urbanen Lebens in den Straßen und Bahnhöfen von Bombay oder Mumbai. Es ist ein poetisches Flanieren, das in seiner Subjektivität und seiner nachdenklichen Hingabe an den Augenblick an französische und deutsche Großstadtfilme der 20er und 30er Jahre erinnert.
Die Musik verstärkt diesen Eindruck des Impressionistischen noch zusätzlich. Es ist eine in ihren Alltagsregeln und Ritualen fremde, doch immer verständliche Welt, Indien.
Payal Kapadias Kino will genau hinschauen
Auf diese Weise fängt die Regisseurin den Alltag von drei Frauen ein, die alle als Krankenschwestern auf der gleichen Station eines großen Krankenhauses arbeiten. Sie lernt man zunächst als Gefangene ihrer Lebensumstände und der sozialen Codes kennen, die ihr tägliches Leben bestimmen.
Die Regisseurin hält sich dabei bewusst mit Wertungen und offenen Parteinahmen zurück. Ihr Kino will keinen Diskurs illustrieren, sondern vor allem genau hinschauen. Dabei entfaltet Kapadia ihre Charaktere inszenatorisch selbstbewusst in Form von Schichten, Fragmenten und Splittern und in den Blicken, die sie aufeinander und auf die Welt werfen. Auf der Leinwand liest man auch Text- und Sprachnachrichten, im Off wirkt eine der drei als Erzählerin.
Drei Frauen, drei Schicksale
Die Handlung wird dadurch vorangetrieben, dass sich Anu, die jüngste und modernste der Drei, in einen jungen Mann verliebt, der als Moslem und Angehöriger einer anderen Kaste für sie tabu ist. Sie hält die Beziehung geheim, während ihre Eltern auf dem Land für sie längst eine andere Ehe arrangiert haben.
Die älteste ist Parvaty und wird nach 22 Jahren von Immobilienhaien aus ihrer Wohnung vertrieben. Zwischen den beiden in Alter wie im Verhältnis zur Tradition steht die Erzählerin Prabha, deren Untermieterin die junge Anu ist. Prabha wurde arrangiert verheiratet, hat aber zu ihrem Gatten seit Jahren keinen Kontakt, er lebt in Deutschland.
Flüchtige Momente von Einsamkeit und Kommunikation
Ohne forcierte Handlung, ohne plötzliche Wendungen und aufgesetzte Dramatik erzählt die Regisseurin in beiläufigen, flüchtigen Bildern von Einsamkeit und Kommunikation unter sehr verschiedenen Menschen.
Es geht dabei vor allem um die alltägliche Sehnsucht der Menschen, aber auch um „handfestere" Sujets wie Migration, soziale und kulturelle Unterschiede, um den Gegensatz zwischen Liebe und arrangierten Ehen, aber auch um Immobilienspekulation und Gentrifizierung.
Bilder für das Ungreifbare
Hierin steht „All We Imagine As Light" dem Hongkong-Regisseur Wong Kar-wai sehr nahe: Auch Kapadia geht es darum, Bilder für das Ungreifbare zu finden. Und für weibliche Solidarität: Es ist eine Solidarität, die hier nie auf Kosten der Männer ausgelebt wird, die genauso verloren und einsam und würdevoll sind, wie die Frauen.
Der Film kommt ohne Antagonisten aus, stattdessen erfahren die drei Frauen am Ende am Ozean, unter den Neonfarben einer nächtlich illuminierten Strandbar, so etwas wie eine Epiphanie. Alles ist Ufer, ewig ruft das Meer. Plötzlich ist die Zukunft offen und alles möglich in diesem bewegenden, schönen Film. Es gibt nur noch das Licht und die Menschen, die von ihm berührt werden. Es ist die Utopie des Kinos.
Trailer „All We Imagine As Light", ab 19.12. im Kino
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