Die Berlinale hat ihren Skandal: Die politischen Exzesse der Preisverleihung überlagern, dass mit „Dahomey“ von Mati Diop wieder ein Dokumentarfilm den Goldenen Bären bei der Berlinale gewinnt.
„Dahomey“ von Mati Diop - ein verdienter und vorhersehbarer Sieger
Wieder gewinnt ein Dokumentarfilm den Goldenen Bären bei der Berlinale: „Dahomey“ von Mati Diop, einer Französin mit senegalesischen Wurzeln, ist ein so verdienter wie vorhersehbarer Sieger.
Verdient, weil dieser Filmessay, der auch fiktionale und magische Elemente hat, damit die vielen Mittel des Kinos einmal wirklich ausreizt. Weil er politisch bemerkenswert und intelligent ist, und zudem eine uneindeutige, komplexe Meditation über das Verhältnis zwischen Afrika und Europa darstellt, die beide Seiten infrage stellt und damit vor allem unsere einfachen Gewissheiten über "den Kolonialismus" zurückweist.
Vorhersehbar war sie auch. Denn zwar ist dieser Film keine Verlegenheitslösung. Aber wie sollte sich die Jury anders elegant aus der Affäre ziehen bei einem zwar nicht richtig schwachen, aber banalen und absolut nicht filmisch aussagekräftigen Wettbewerb, in dem eigentlich keiner der Spielfilme einen Goldenen Bären verdient hatte?
„Dahomey“ und „Das leere Grab“: Berlinale-Filme thematisieren koloniales Raubgut
Der Goldene Bär ist immer weniger wert
Für die Berlinale ist dieser Befund allerdings ein Armutszeugnis, das endgültig deutlich macht, was längst alle Festivalspatzen von den Dächern pfeifen: Der Goldene Bär ist immer weniger wert und die Berlinale spielt längst nicht mehr in einer Liga mit den beiden wirklich erstklassigen Festivals von Cannes und Venedig.
Eigentlich würde man jetzt gerne nur über diese Preise und über den nötigen Neustart der Berlinale, ihre Standortprobleme, finanziellen Sorgen und über die Neustrukturierung des Programms sprechen. Aber das geht nicht, denn die Berlinale-Preisverleihung am Samstag wurde von einigen Preisträgern und Juroren missbraucht für eine eklige Show aus Antisemitismus und Geschichtsvergessenheit.
Eklige Show aus Antisemitismus und Geschichtsvergessenheit
Der Reigen aus einseitigen antijüdischen und antiisraelischen Aussagen belegte zunächst einmal, dass viele Künstler, die vielleicht sogar gelungene Filme machen, viel weniger sensibel und viel weniger intelligent sind, als man es ihnen gern zuschreibt. Was ist nur mit dieser Kunstszene los?
Am Beschämendsten aber war, dass, als abstoßende Parolen fielen und eitle Europäer mit frisch gebügelten Palästinensertüchern und Flugblättern auf der Bühne posierten, niemand aufstand oder buhte oder anders einschritt. Nicht das Publikum. Nicht die Kulturstaatsministerin, die sogar an mancher falschen Stelle applaudierte. Nicht die anderen Politiker aller Parteien im Saal, die erst am Tag danach ihre Empörung in die digitalen Kanäle bliesen.
Und auch nicht die Berlinale-Doppelspitze, die jetzt zwar abtritt, aber diesem Abgang durch ihr Schweigen eine Note verlieh, die alle wohlfeilen Lippenbekenntnisse gegen Hassreden Lügen straft, und deren bitterer Nachgeschmack noch lange anhalten wird.
Die Berlinale hat nun ihren Skandal wie die Documenta vor zwei Jahren
Sexismus, Homophobie, Rassismus, Demokratiekritik, Leugnung von Klimawandel und Coronavirus und vieles mehr sind auf der Berlinale und in der sie tragenden Berliner Kulturszene selbstverständlich tabu. Antisemitismus aber lässt man einfach so durchgehen. Mitten in Deutschland!
Die Berlinale hat nun ihren Skandal, der ähnliche Langzeitwirkung entfalten könnte, wie der der Documenta vor zwei Jahren.
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Rüdiger Suchsland, Filmkritiker und Regisseur, Berlin
Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Deutschlands größtes Filmfestival muss seine Seele neu finden. Zu behaupten, man sei ein politisches Festival, reicht nicht mehr. Das widerspricht nicht nur den Tatsachen. In Berlin ist diese Behauptung seit vorgestern zu einer Drohung geworden.
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