Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis

Literaturpreisverleihung: Preisträgerin Nora Bossong wirbt für Auseinandersetzung mit Elisabeth Langgässer

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Autor/in
Leonie Berger
SWR Kultur Autorin Leonie Berger

Seit 1986 vergibt die Stadt Alzey den Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis, doch die Namensgeberin war aufgrund ihres Verhaltens im Nationalsozialismus infrage gestellt worden. Auch Nora Bossong – Preisträgerin 2024 – setzte sich in ihrer Preisrede kritisch mit Langgässer auseinander, warb dafür, der Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht aus dem Weg zu gehen.

Langgässer hält als moralische Instanz heute sicher nicht mehr stand, aber ich glaube, dass es äußerst produktiv ist, sich an einer solchen Autorin zu reiben und eben nicht der Geschichte aus dem Weg zu gehen. 

2022 schlug Kehlmann die Namensänderung des Preises vor

Es passiert nicht oft, dass ein Preisträger sozusagen den Staffelstab der Dankesrede an seine Nachfolgerin übergibt. Diesmal war es aber so: Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hatte sich 2022 sehr kritisch mit Elisabeth Langgässer auseinandergesetzt: Ihr Werk sei schlecht gealtert, aber noch viel schwerer wog für ihn, dass sie im entscheidenden Moment nicht den Mut aufgebracht hatte, sich schützend vor ihre Tochter Cordelia zu stellen.

Cordelia wurde von den Nationalsozialisten deportiert, überlebte und wurde nach dem Krieg nach Schweden gebracht. Ihre Erinnerungen sind in dem Buch „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ nachzulesen, das Daniel Kehlmann zu den großen Werken der Holocaust-Zeitzeugenschaft zählte.:

Und so erlaube ich mir gerade in dem Moment, da ich dankbar diesen Preis annehme, die Bemerkung, dass auch ein Cordelia Edvardson-Preis einen guten Klang und guten Sinn hätte.

 Stadt Alzey diskutiert Namensänderung

Die Stadt Alzey und ihr literarischer Beirat diskutieren eine Namensänderung oder -erweiterung, passiert ist bislang nichts. Daher wurde die Dankesrede in diesem Jahr mit besonderer Spannung erwartet, alle schauten auf Nora Bossong.

Diese warb zunächst für Verständnis für die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, die mit ihrem strengen katholischen Glauben in ihrer Zeit verhaftet gewesen sei. Eine Zeit noch vor dem zweiten Vatikanischen Konzil, also noch bevor die katholische Kirche ihre Beziehung zu den anderen Religionen neu definierte. Das zeige sich vor allem in Langgässers Roman „Das unauslöschliche Siegel“ von 1946, mit einem getauften Juden als Hauptfigur.

„Langgässer lebt, so lese ich sie, in einem Glauben einer zu heilenden, einer heilen Welt“, sagt Nora Bossong in ihrer Preisrede. „Dieser Glaube aber an eine wiedergewonnene oder wiederzugewinnende heile Welt hatte sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollkommen verkehrt, hatte in diesem Jahr nichts Tröstliches mehr, sondern wurde im Gegenteil zu einem Verleugnen der Opfer.“

Langgässer wirkt heute intolerant und wenig empathisch

Nora Bossong ist sich dessen bewusst, dass diese Haltung Elisabeth Langgässers heute intolerant und wenig empathisch wirkt. Dennoch könne man durchaus differenzieren zwischen dem Inhalt und dem literarischen Wert Langgässers: „Manches, trotz aller Kontextualisierung finde ich schwierig von dem, was sie schreibt, aber es gibt auch Szenen und Momente, wo ich ein Bild auch von einem im Krieg befindlichen Deutschland, mit einem ideologischen Deutschland sehe, was mir so noch nicht erzählt wurde.“

Nora Bossong selbst ist auch eine Autorin, die Geschichten so erzählt, wie wir sie vorher noch nicht gelesen haben: Sei es in ihrem Roman „Schutzzone“ über eine Mitarbeiterin der Vereinten Nationen, in ihren Reportagen in dem Band „Rotlicht“, für den sie in Swinger Clubs und Sexshops recherchiert hat oder auch in ihren politischen Texten und Essays. Nora Bossong ist offen, zugewandt und neugierig, der Zweifel ein nützlicher Begleiter.

Bossong schreibt Roman über Mütter im Nationalsozialismus

Zurzeit arbeitet sie an einem Roman über die Rolle der Mütter im Nationalsozialismus. Vielleicht auch deswegen hält sie eine Umbenennung des Elisabeth Langgässer-Literaturpreises für unnötig – Elisabeth Langgässer solle nicht hauptsächlich danach beurteilt werden, ob sie eine gute Mutter war.

Nora Bossong stellte stattdessen die Auseinandersetzung mit der Literatur in den Mittelpunkt und die ist dann am spannendsten, wenn sie nicht eindeutig ist. 

 

Die Schriftstellerin Nora Bossong

Zeitgenossen Nora Bossong: „Literatur ist eine sehr intime Kunst“

Ihr Roman „Schutzzone“ über eine Mitarbeiterin der Vereinten Nationen in Genf machte Nora Bossong einem breiten Lese-Publikum bekannt. Als Autorin realitätsnaher, akribisch recherchierter Texte hat die 39-Jährige bereits zahlreiche Preise erhalten.

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