Eine Wiedergeburt in den Achzigerjahren
Sturmfrisur, Lederjacke, Reibeisenstimme: Die italienische Rock-Ikone Gianna Nannini strahlte in den Achzigerjahren mit Songs wie „I Maschi“ oder „Bello e impossibile“ längst nicht nur in Italien und polarisierte mit anzüglichen Gesten und Songtexten. Als unangepasste Revoluzzerin gilt sie bis heute als Role-Model des Feminismus und radikale Frauenrechtlerin. In diesem Jahr wird Nannini, für die Konventionen nie eine Rolle spielten, 41 Jahre alt.
So empfindet das Gianna Nannini, die eigentlich in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag feiert, zumindest selbst: Im Schicksalsjahr ihrer Karriere 1983 erlebte die Sängerin nach eigener Aussage eine Wiedergeburt. Genau um diesen Wendepunkt kreist das neue Netflix-Biopic „Die schöne Rebellin“ von Regisseurin Cinzia Th. Torrini.
Ein Biopic, das nur die frühen Karrierejahre beleuchtet
Wer hinter „Die schöne Rebellin“ jedoch ein vollumfängliches Biopic im Stile von jüngeren Kino-Starts wie „Back to Black“ erwartet, der wird enttäuscht: Der Film zeichnet in erster Linie die jungen Jahre der Künstlerin nach und fühlt Nanninis ersten Gehversuchen in der Musikbranche nach.
„Die schöne Rebellin“ setzt ganz am Anfang an, in der Kindheit Nanninis, im toskanischen Siena der 1960er: Gianna Nannini wächst in einer wohlhabenden Familie auf, die von der erfolgreichen Konditorei des Vaters gut leben kann. Die Vita der kleinen Gianna ist vorgezeichnet, sie soll Tennis und Klavier spielen, später einmal im elterlichen Betrieb mitarbeiten. Gianna Nannini hat jedoch schon früh ein anderes Leben für sich im Sinn. Sie will auf die Bühne.
Der Protest ihres konservativen Vaters kann ihr nichts anhaben, sie versetzt ihren Tennisschläger für Gesangsstunden und verfolgt konsequent ihr Ziel, Musikerin zu werden. „Wenn ich mir was in den Kopf gesetzt habe, mache ich es auch“, sagt Nannini trotzig in einer Szene, die sinnbildlich für die Rebellion gegen ihr Elternhaus steht.
Von Glanz und Glamour keine Spur
Gianna ist 18 Jahre alt, möchte Rockstar werden und türmt kurzerhand über Nacht gen Mailand. Doch das ersehnte Rockstar-Leben zeigt sich für Gianna Nannini zunächst von seinen Schattenseiten. In einem heruntergekommenen Stundenhotel nächtigt sie zwischen Junkies und Prostituierten, hält sich mit kleineren Gigs über Wasser und eckt, wie soll es anders sein, immer wieder an.
An ihrer Wand hängt ein Janis Joplin-Poster, einerseits Blaupause für ihren Traum von der großen Karriere, andererseits auch tragisches Vorbild, wenn sich bereits nach wenigen Minuten des Films eine Freundin im Hotel den goldenen Schuss setzt.
Doch Nannini ist eine Kämpferin, das wird immer wieder deutlich und schließlich zum roten Faden des Films, der immer wieder zurück in Nanninis Kindheit springt und episodenhaft aufzeigt, wie und warum sie zu einer selbstbewussten und unangepassten Frau wird.
Provokation als Markenkern
Als man Gianna Nannini dann schließlich entdeckt und groß rausbringen will, muss man sie massenkonform machen. „Die müssen wir dringend in Ordnung bringen“ heißt es im Film, gemeint ist damit vor allem ein Look, der den gängigen Rollenklischees entspricht.
Ihre Gitarre soll weichen, stattdessen sollen Tänzerinnen und adrett frisierte Haare aus Gianna Nannini ein Pop-Sternchen machen. Doch schon damals lässt sich die Sängerin in keine Schublade pressen. Das macht sie auch in ihrer Musik deutlich.
Gianna Nannini schreibt mit „America“ einen Song über Selbstbefriedigung – was ihr katholisches Heimatland erschüttert, wird jedoch ein großer europaweiter Hit und macht die Sängerin zum Star. Das Plattencover zum zugehörigen Album „California“ in 1979 ziert eine Freiheitsstatue, die statt einer Fackel einen Vibrator empor streckt. Ein Skandal im konservativen Italien, ein noch größerer Skandal für Nanninis prüden Vater.
Einerseits will er ihr verbieten, ihren Familiennamen zu nutzen – andererseits profitiert er aber auch von ihrer Berühmtheit. Bis zu seinem Tod bleibt das Verhältnis zu ihrem Vater ambivalent, sagt Nannini heute in einem Interview mit der „Zeit“.
Erst durch ihn habe sie gelernt, sich durchzusetzen und für das einzustehen, was sie ist, sagt die Sängerin. Im Film erscheint Nanninis Vater, gespielt von Maurizio Lombardi, eher wie ein bornierter Unsympath, eine Darstellung, mit der Nannini rückblickend nicht ganz zufrieden ist, wie sie im Zeit-Interview einräumt.
Schnelles Tempo, wenig Tiefe
Immer wieder spielen Nanninis autobiographische Lieder eine zentrale Rolle im Film: So sieht man, wie sie in einer Bar krachend mit ihrem Song über selbstgemachte Abtreibung scheitert. Man erfährt in einer Rückblende, wie sie einem sexuellen Übergriff durch ihren Klavierlehrer ausgesetzt war, was in der Ballade „Basta“ mündet.
Die deutschen Untertitel machen die Songs greifbar, Nanninis unverkennbare Stimme und die Live-Aufnahmen am Ende schaffen eine Bindung zum Zuschauer. Das bleibt jedoch der einzige Selling Point des Films, der über weite Strecken gehetzt wirkt.
Fast schon hektisch arbeitet der Film Anekdote um Anekdote aus dem Leben der Sängerin ab. Das geht auf Kosten der Tiefe, viele spannende Aspekte aus Nanninis Vita bleiben damit auf der Strecke oder nur oberflächlich angerissen, was schade ist.
Obwohl der Film auf Nanninis Biographie „Cazzi miei“ basiert und die Künstlerin selbst am Drehbuch mitwirkte, fehlt es an vielen Stellen an Persönlichkeit. Die herausragende Hauptdarstellerin Letizia Toni trägt den Film über weite Strecken fast alleine.
Fragwürdige Fokussierung
Gianna Nanninis Bisexualität und ihr offener Umgang damit wird im Film als selbstverständliche Randnotiz behandelt. Eine Kontextualisierung fehlt hier ebenso wie eine Darstellung der Zerissenheit der italienischen Gesellschaft, die in Gianna Nannini einerseits eine neue Heldin fand, die ihre Muttersprache nach Europa trug, andererseits aber auch schockiert vom Einriss der bürgerlichen Fassade war, den Nannini mit dem Vorschlaghammer vorantrieb.
Generell fehlt es an den ganz großen Geschichten, wie man sie aus anderen Biopics kennt. Doch Nanninis Vita ist schlicht nicht so dramatisch, wie die zahlreicher vor ihr verfilmter Rock-Größen.
Nanninis politischen Aktivismus, vor allem im Bereich des Umweltschutzes, spart der Film aufgrund seines Fokus' auf die jungen Jahre ganz aus, ebenso wie ihre späte Mutterschaft im Alter von 54 Jahren, die im geburtenschwachen Italien eine Grundsatzdebatte auslöste. Es bleibt fraglich, ob die Fokussierung auf die jungen Jahre dem Film wirklich gut tut.
Ein Film für Fans von Italien, Revoluzzern und: Gianna Nannini!
Zu Beginn des Films wird die junge Gianna Nannini gefragt, wovor sie Angst habe. „Der Wahnsinn“, entgegnet sie, als wüsste sie insgeheim bereits, was ihr bevorstehen soll. 1983 bricht die Sängerin unter dem Druck ihres jungen Erfolges zusammen, leidet an Paranoia und Psychosen und braucht lange, um wieder auf die Beine zu kommen.
Es sind verstörende Szenen im Film, als sie ihre Mutter auf Knien anfleht, sie erneut zu gebären. Kurz darauf sieht man jedoch die echte Gianna Nannini wieder auf der Bühne stehen: Der Film endet, wie soll es anders sein, mit Konzertausschnitten der mittlerweile rehabilitierten Musikerin, die sich mit ihren energiegeladenen Konzerten den Ikonen-Status erspielt.
Wer mit Gianna Nannini oder italienischer Musik noch nie etwas anfangen konnte und keine ausgeprägte Schwäche für Revoluzzer hat, den wird „Die schöne Rebellin“ vermutlich langweilen. Fans und Musikliebhaber dürften sich durch den kurzweiligen Film dennoch unterhalten fühlen.
Denn auch wenn die musikalischen Parts eine gehörige Portion Kitsch mit sich bringen, ist der Film ein nettes Stück europäische Rock'n'Roll-Geschichte.