Margaret Atwoods Science-fiction-Roman mit feministischem Anspruch war nicht nur 2017 Grundlage für eine erfolgreiche Fernsehserie, sondern hat auch den dänischen Komponisten Poul Ruders 1998 zu einer Oper angeregt. Das Theater Freiburg hat sie in der Regie von Intendant Peter Carp jetzt als deutsche Erstaufführung herausgebracht, musikalisch geleitet vom ersten Kapellmeister Ektoras Tartanis.
Wie klingt Frauenverachtung?
Wie kann man der übelsten Misogynie musikalischen Ausdruck verleihen? Der dänische Komponist Poul Rouders lässt es hören in „The Handmaid’s Tale“ nach dem gleichnamigen Roman von Margaret Atwood als deutsche Erstaufführung seiner Oper am Theater Freiburg.
Die Vergewaltigung der Magd durch ihren Commander im Beisein von dessen unfruchtbarer Frau wird ambivalent mit der süßlichen Melodie von „Amazing Grace“ durchsetzt. Letztlich weil die Kommandeursgattin Serena Joy – passender Name für diese Unfrohe – einst Gospelsängerin war, bevor Krisen und eine Nuklearkatastrophe Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung hinweggefegt haben.
Ganz eigene Klangsprache
Nach alttestamentarischem Vorbild wurde eine Diktatur Namens Gilead errichtet. In ihr wird ein Teil der Frauen zu puren Gebärmaschinen dressiert. Sie sollen der unfruchtbar verlogenen Bigotterie dieses Gottesstaates Nachwuchs liefern.
Poul Ruders komponiert eine abgründige Mixtur aus Benjamin Britten, John Adams, Chorälen, sinfonischem Bombast, Jazz und zackiger Vokalkunst, um doch zu einer ganz eigenen Klangsprache zu finden.
Die Magd Offred: Nicht mehr als ein Gegenstand
Seine zärtliche Klangliebe gilt der berichtenden Magd Offred. Sie hat keinen Namen, trägt nur eine Bezeichnung, die sie zu einem Commander Fred gehörenden Gegenstand reduziert. Sehr wohl besitzt sie aber Identität, Vergangenheit und einen ehebrüchigen Geliebten mit Kind.
Vergeblich revoltiert sie gegen den mörderischen Gottesstaat. Jedenfalls bleibt ihr Weg am Ende der Oper nach einer großen Quartettszene offen. Voll Zärtlichkeit macht Rouders sie zu einer Heiligen des Aufbegehrens und schmiegt ihr gläsern perlende Harfenakkorde wie ein Kleid um den Leib. Auch die noch so scharf dazwischenfahrenden Blechakkorde und das wilde Schlagzeug können ihr nichts antun.
Assoziationen an den Gottesstaat Iran
Intendant Peter Carp inszeniert auf der von Kaspar Zwimpfer gestalteten Drehbühne. Umerziehungslager, Kammer, Salon, Bordell und Wand der Gehenkten sind in Ockerton mit roten Einsprengseln gehalten. Das weckt Assoziationen an den Gottesstaat Iran.
Schnörkellos geradlinig, präzise und mit Gespür für drastischen Suspense ist die Regie dieser Romanoper: Filmisch montierte Bildwechsel, raffinierte Zeitsprünge der Erinnerungsszenen, innere Monologe hinter einem malerischen Gazevorhang und eine ausdifferenzierte Personengestaltung. Das ist alles mit großer Hingabe gemacht.
Inga Schäfer in der Titelpartie ist eine Wucht
Inga Schäfer in der Titelpartie der Offred ist eine Wucht. Sie liefert eine atemberaubende Tour de Force dieser emotional aufzehrenden Partie. Sie soll stimmlich angeschlagen gewesen sein. Wie mag das klingen, wenn sie es nicht ist? Kaum zu fassen.
Als Umerziehungsbestie Aunt Lydia wartet Margarita Vilsone als Walküre der Selbstentfremdung auf. Abgründig beängstigend. Jin Seok Lee als Commander: ein dunkeltönender Machtmensch mit Beziehungsnotstand.
Höhepunkt der Spielzeit
Wie auch die übrigen Ensemblekräfte wirft sich das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Ektoras Tartanis mit Verve in diese Opern-Dystopie. Alle wissen: Das ist der Höhepunkt der Spielzeit. Auch der anwesende Komponist Poul Ruders und sein kongenialer Librettist Paul Bentley sind begeistert.
Im Mullah-Staat wird eine Scheinwahl durchgeführt, Chinas Familienplanung ist zementiert, Russland eine nationalgläubige Diktatur, Trump steht vor der Tür, von den reaktionären Kräften Europas ganz zu schweigen. Selten ist Musiktheater mit hypnotischer Suggestivkraft so brisant aktuell wie Rouders Meisterstück aus dem Jahr 1998.
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Gespräch Margaret Atwood: Die Füchsin – Gespräch mit Pascal Fischer
Margaret Atwood ist bekannt für Weltbestseller wie „Der Report der Magd“. Doch die Kanadierin kann auch Lyrik. Der Berlin Verlag hat eine vielgestaltige Auswahl aus ihrem umfangreichem lyrischen Schaffen übersetzen lassen. Ein famoser Einstieg ins Werk.
Theresa Hübner im Gespräch mit Pascal Fischer.
Aus dem Englischen von Ann Cotten, Ulrike Draesner, Christian Filips, Dagmara Kraus, Elisabeth Plessen, Kerstin Preiwuß, Monika Rinck, Jan Wagner und Alissa Walser,
Berlin Verlag, 416 Seiten, 40 Euro,
EAN 978-3-8270-1386-6
Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2017 Margaret Atwood: Der literarische Arm der linksalternativen Bewegung
Die Friedenspreisträgerin 2017 wurde auch für den Literaturnobelpreis hoch gehandelt. Vielleicht ist das mehr als ein Zufall: Margaret Atwood ist eine der prägenden Autorinnen der Babyboomer-Generation.