Modernes Varieté mit den treibenden Beats der elektronischen Musik im Stuttgarter Friedrichsbau Varieté – dazu mitreißender Tanz, anspruchsvolle Artistik und Akrobatik. So präsentiert sich „The Ballroom“ als moderne Revue im Friedrichsbau Varieté Stuttgart.
Gleich zu Beginn ist der Ton gesetzt. Zu Offenheit fordert Fanny di Favola auf, die durchs Programm führt. Zu Elektrobeats strömen Tänzerinnen und ein Tänzer in den Ballroom.
Sie tanzen in minimalistischen, futuristischen Kostümen in schwarz und weiß und verwandeln die fast leere und dunkel gestaltete Bühne in einen Club für elektronische Musik.
Im fließenden Wechsel dazu gibt es artistische und akrobatische Nummern. Das künstlerische Team ließ sich dabei von den Ballhäusern der 1920er Jahre inspirieren.
Timo Steinhauer, Geschäftsführer des Stuttgarter Friedrichsbau Varietés sagt: „Da war die Gesellschaft, die Menschen, die das dort besucht haben, viel offener als anderorts in dieser Zeit - und das hat uns total fasziniert.[...] Wir haben uns überlegt, wie würde es aussehen, wenn wir uns von diesen historischen Vorbildern lösen könnten, einfach um einen neuen Gedankenansatz reinzubringen.“
Eine außergewöhnliche Show
In Anlehnung an die Revuen in den Ballhäusern entstand auch der Name, der in die Gegenwart weisen soll: The Ballroom Revue. Auch die Künstlerinnen und Künstler begeistert der moderne Ansatz mit der elektronischen Musik, wie zum Beispiel Aleksandar Savija.
Der performt an einer von der Decke herunterhängenden Pole Dance Stange – und scheint dabei zu schweben.
Mal im Spagat, mal mit fließenden tänzerischen Bewegungen. Aleksandar Savija freut sich bei dieser Show dabei zu sein:
„Sie ist außergewöhnlich, ich nenne sie irgendwo so Avantgarde-Subculture, also jetzt für mich persönlich, weil wir können frei sein. Wir kennen ja diese klassischen Varietés, wo ganz viel Feder und Glamour ist. Und hier ist eben eine andere Art von Glamour. Wir bringen den Glamour in den Ballroom 2024.“
Faszinierende Kombinationen
Die treibenden Beats der Musik ziehen sich durch die ganze Revue. Es ist faszinierend, was sich dazu kombinieren lässt. Wenn etwa der Breakdancer und Artist Sören Geisler seine Moves mit einem Diabolo-Stab kombiniert.
Da kreiselt er mit dem Rücken auf dem Boden und schleudert mit den Armen das beleuchtete Diabolo in die Luft und fängt es wieder auf. Für ein modernes Ballhaus – oder eben einen Ballroom – fand Regisseur Ralph Sun die Musik der elektronischen Subkultur passend.
Vereinen ist in der aktuellen Zeit wichtig
Die Revue ist divers besetzt mit Menschen aus den unterschiedlichsten Nationen – von Argentinien bis hin zu Finnland. Ihre sexuelle Orientierung spielt dabei für niemanden eine Rolle.
Das Publikum soll sich einfach amüsieren und offen für Neues sein. Und sich dabei antreiben lassen von den Beats der elektronischen Musik.
Timo Steinhauer: „Wir sind Mensch, wir haben einen Herzschlag, und von da aus wieder anfangen aufzubauen, und ich glaube, das ist was, was uns alle eint und ich glaube, zu vereinen ist in dieser aktuellen Zeit wahnsinnig wichtig.“
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Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Dragqueens erobern die Popkultur: Mehr Mainstream, weniger Hass?
Erst haben sich Dragqueens über ihr Make-Up amüsiert, dann hat die Schauspielerin Melissa McCarthy doch noch weltweit die Fans von sich überzeugt: als Meereshexe Ursula im Kinofilm “Arielle, die Meerjungfrau”. Ihre Figur soll von der Dragqueen-Ikone Divine inspiriert sein. Aber wie so oft bei Disney: Die queeren Rollen sind Bösewichte.
Was immer noch besser sei als gar keine queeren Menschen in der Popkultur zu haben, meint der Soziologe Jeff Manners. Dass die Dragkultur längst auch positiv den Mainstream prägt, betont die Dragqueen Betty BBQ aus Freiburg. Ihr Markenzeichen ist der Schwarzwald-Bollenhut. „Angekommen sind wir definitiv“, sagt sie. Was nicht gleichzusetzen sei mit sozial akzeptiert.
Drag-Kultur im Mainstream bedeutet nicht automatisch weniger Hass und Hetze gegen queere Menschen. Besonders in den USA tobt ein Kulturkampf: Ein Dutzend republikanisch geführter Bundesstaaten wollen Drag-Shows gesetzlich verbieten. Und in München platzt die CSU vor Wut über eine Kinderbuchlesung mit einer Dragqueen. “Populisten haben erkannt, dass man aus queeren Themen politisches Kapital schlagen kann, indem man Minderheiten zu Sündenböcken macht“, sagt Jeff Mannes. Für Betty BBQ eine beängstigende Entwicklung: „Ich habe mich die letzten 20 Jahre nie in einem Kulturkampf gesehen. Auf einen Schlag ist das anders, das belastet mich sehr.“
Diese Gleichzeitigkeit von Emanzipation und Repression - sie ist nicht neu, wie der Blick in die Geschichte zeigt. Der Historiker Benno Gammerl zieht mit uns Parallelen zum Deutschland der 1920er Jahre.
Habt ihr auch schon alle Staffeln der Serie „Pose“ über die Ballroom-Szene gesehen, irgendwann mal zu Madonnas „Vogue“ getanzt und sucht noch mehr Inspiration zum Thema? Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen, an kulturpodcast@swr.de!
Hosts: Kristine Harthauer und Philine Sauvageot
Showrunner: Stephanie Metzger
Benno Gammerls Buch “Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute”: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/queer/978-3-446-27607-9/
Die fünfteilige SWR-Dokuserie “Drags of Monnem”: https://www.ardmediathek.de/serie/drags-of-monnem/staffel-1/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9zZGIvc3RJZC8xNTMw/1