Post-Punk auf der Bühne

Standing Ovations für Starchoreograf Frédérick Gravel am Staatstheater Mainz

Stand
Autor/in
Natali Kurth

Der kanadische Choreograph Frédérick Gravel schlägt mit einer sehr physischen Tanzsprache einen gewagten Bogen vom viktorianischen Zeitalter über den Post-Punk bis hin zur Gegenwart. Eine Aufführung, die einen in Trance versetzt und die man sich mehr als einmal anschauen kann – Bestseller-Potenzial!

Hervorragendes Kostümbild

Opulente bodenlange Röcke, Volants, viel farbenfroher Stoff, Puffärmel und Hosen, die mit aufwendigen Rüschen besetzt. Die Kostümbildnerin Viktoria Schrott hat sie dem Ensemble auf den Leib geschneidert.

Sie erinnern an das viktorianische Zeitalter. Dazu Miniröcke mit Fransen von Männern in Stöckelschuhen getragen, Frauen mit Krawatten über einem kurzen Top, Frisuren im Stil von Vivienne Westwood.

Opulenz am Körper trifft Post-Punk und Diversity. Das Ensemble tanzt anfangs in ruhigem Tempo fast auf der Stelle frontal zum Publikum. Es scheint wie ferngesteuert. Die Bewegungen wiederholen sich. Untereinander würdigen sich die Tänzer und Tänzerinnen keines Blickes. 

Frédérick Gravel: History is mostly made of flesh
Meritxell Van Roggen, Ensemble. Bild in Detailansicht öffnen
Frédérick Gravel: History is mostly made of flesh
Das Ensemble tanzmainz. Bild in Detailansicht öffnen
Frédérick Gravel: History is mostly made of flesh
José Garrido, Milica Bajčetić, Daria Hlinkina. Bild in Detailansicht öffnen
Frédérick Gravel: History is mostly made of flesh
Thomas Van Praet, Ensemble. Bild in Detailansicht öffnen
Frédérick Gravel: History is mostly made of flesh
Daria Hlinkina, Meritxell Van Roggen, Elisabeth Gareis, Lin Van Kaam, Thomas Van Praet. Bild in Detailansicht öffnen

Ein Spiel mit Historie und Zeitgeist

Die Uraufführung mit dem merkwürdigen Titel „History is made of flesh“, was soviel bedeutet, wie „Geschichte ist zumeist aus dem Leib gemacht“, fasziniert durch ihre Dichte der choreografischen Einfälle von Anfang an, lässt keine Sekunde ohne Idee und nimmt den Zuschauer über die ganze knapp einstündige Strecke pausenlos mit.

Der Tanz ist hier aber nicht nur „L'art pour l'art“ – Frédérick Gravel, dessen Performances gleichermaßen in kanadischen Underground-Räumen, wie auch auf wissenschaftlichen Symposien gezeigt werden, spielt mit der Historie und dem Zeitgeist.

Überbordende Virtuosität

Im Laufe des Abends lässt es Frédérick Gravel richtig krachen. Die tänzerischen Passagen entwickeln eine überbordende Virtuosität. Aus der anfänglichen Gruppendynamik kristallisieren sich einzelne Paare oder Dreiergruppen heraus.

Menschen, die versuchen, miteinander Kontakt aufzunehmen. Menschen, die schon einiges erlebt haben vielleicht und nach einem Neuanfang suchen. Ein durchaus aktueller Gedanke.

Ein Ort des kritischen Geistes

Im Laufe der Choreografie werfen die Tänzerinnen und Tänzer nach und nach ihre opulenten Kostüme ab. Sie sind fast nackt, wenn sie endlich ihren Partner oder Partnerin finden, gleich in welcher Konstellation.

Ihr tänzerischer Ausdruck wird individuell, niemand gleicht mehr dem anderen. Intime Gesten statt roboterhafter Erscheinung. Eine mögliche Wandlung, die wir als Zuschauer miterleben und mit fühlen.

Frédérick Gravel: „Die Bühne ist ein Ort des kritischen Geistes. Der Tanz eröffnet eine Diskussion. Er ist dicht bei uns. Er bietet uns eine demokratische Gesellschaft an. Der Tanz hat auch kanalisierende Wirkung. Das ist eine der Rollen, die der Tanz spielt.“

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